EDITORIAL # 61

Contemporary Art Nightly

MMK Frankfurt
Sprüth Magers, Berlin
Galerie Layr, Wien
Lodos Gallery, Köln
Space N.N., München
Galerie Drei, Köln
Lucas Hirsch, Düsseldorf

MMK, Frankfurt

Elaine Sturtevant
Gonzalez-Torres Untitled (America)
23.09.2023–11.02.2024

Die Fotografie zeigt Sturtevants Arbeit Gonzalez-Torres Untitled (America) bei Nacht und als Referenz auf Louise Lawlers Ausstellung Lights Off, After Hours, In the Dark. Aktuell wird die Light Strings Replica im Rahmen von Channeling im MMK gezeigt, wo sie bereits 2004 Teil von Sturtevants Solo-Ausstellung war. 2021 zeigt Lawler in ihrer Ausstellung eine Fotoserie von Judd-Arbeiten, die sie außerhalb der MoMA-Öffnungszeiten aufgenommen hat. In Lawlers Arbeiten ist die künstliche Beleuchtung des MoMA von der Präsentation seiner „Boxen“, „Stapel“, „Progressionen“ usw. abgezogen, wobei sie zugleich, mittels längerer Belichtungszeit, nur das Umgebungslicht der Exit-Schilder für die Aufnahmen benutzt. Im MMK ist der Abzug verdoppelt: Sowohl die Museumsbeleuchtung als auch Sturtevants Replika selbst sind unbeleuchtet. Unbeleuchtet, wird die sonst klar erkennbare Kontur der Arbeit und der banale, aber fotogene Eindruck unklar. Das heißt, die Arbeit wirkt stromlos, gleichsam reizlos, wodurch die Beleuchtungs-Funktion zugleich als wesentliches Merkmal erkennbar wird. Während die Situation im Dunkeln die Museumsarchitektur größer skaliert, verlieren auch die Temperatur, Form und Farbe der Arbeit an Intensität. Wie grau auf grauer Leinwand, verschwindet das Objekt- „Leben“ im Bildraum. Ohne Strom fungiert der Stromanschluss also als Scharnier für den Effekt der Arbeit. Das heißt, dass Elektrizität, auch im gemeinsamen Stromkreis, die Rolle der Institution in der Präsentation von künstlerischen Arbeiten herausstellt beziehungsweise stärkt. An der Stelle, wo Gonzalez-Torres Untitled (America) ohne Strom in den Hintergrund rückt, rückt der institutionelle Zugriff in den Vordergrund und reflektiert auf visuelle und materielle Gewohnheiten von Rezipierenden. In Gonzalez-Torres relationaler Rhetorik ist dieses dreipolige Verhältnis zwischen künstlerischer Arbeit, Institution und Betrachter:in verlängert, weil die Glühbirnen beispielsweise Licht durch beziehungsweise in Relation zu Wärme erzeugen. Aber auch qua Material wird Relationale Ästhetik suggeriert, weil die Installation im Außenbereich durch dieses zwar impliziert, aber nicht vorgeschrieben ist. Im Verhältnis zu den Ausstellenden verpflichtet die Arbeit also zur installativen Wahlfreiheit. Im Verhältnis zu den Rezipierenden wird Beteiligung dagegen konkreter. In der gleichen Syntax wie der Betrachter:innen-Bezug zu Minimal Art Objekten, erweitert die Wärmestrahlung der Glühbirnen das Spektrum der angesprochenen Sinne. Das passiert – durch die Platzierung auf verschiedenen Ebenen des Museums- aber nur teilweise. Im Obergeschoss ist ein Teil der Lichterketten aufgehäuft und strahlt wahrnehmbare Wärme ab. Ein anderer Teil hängt der Wand entlang bis ins Erdgeschoss, wo die Wärmestrahlung keinen wahrnehmbaren Effekt hat. Weil sich durch die Hängung die gleiche Kraft anders auf der Objekt-Oberfläche verteilt, unterscheiden sich die Lichterketten- Enden also in ihrer Wirkung; Die installative Aufteilung, löst das Verhältnis der zwei Seiten der Arbeit aber nicht auf, sondern stellt es heraus; durch ihre geteilte Differenz verweisen die Abschnitte der Lichterketten auf eine Weise aufeinander, die Anfang und Anschluss in Frage stellt. Sturtevant wiederholt diese Frage: „Was ist der Anfang?“.

Referencing Louise Lawler’s exhibition Lights Off, After Hours, In the Dark, the above photo depicts Sturtevant’s work Gonzalez-Torres Untitled (America) at night. Currently on view in Channeling at MMK, the light string replica was previously featured in Sturtevant’s 2004 exhibition at the same institution. Lawler, in her 2021 show, presents a photographic series capturing Judd’s art after MoMA’s visiting hours. Her work subtracts MoMA’s artificial lighting from his ‘boxes’, ‘stacks’, ‘progressions’ and so on, while using prolonged exposure time and relying on the exit’s signs’ ambient light. Meanwhile, at MMK, subtraction is somewhat doubled; both the museum’s lighting and Sturtevant’s replica itself are unlit. When unlit, the work’s clearly distinguished outline and its slightly mundane, yet photogenic appearance is more vague. Stripped naked from electricity, the string light is simply no longer attractive. Instead, it seems like its light-giving function is not just any of its many, but its essential feature.
While the museum’s architecture upscales, the work’s temperature, shape and colour lose intensity. As if painted grey on grey canvas, this object’s ‘life’ feels lost in image space. Thus, when taken away, the electric outlet is revealed as the work’s make or break. At the same time, and in spite of shared necessity, the switched off electricity emphasizes the museum’s role in the presentation of artworks. Where Untitled (America) disappears – power off – institutional influence appears, addressing the viewer’s material and visual habits. Concerning concept and form, the triangulating relationship between work, institution and viewer functions as Gonzalez-Torres’ relational rhetoric. A rhetoric echoed by the work’s incandescent bulbs, that produce light via, or rather in relation to heat. Relational Aesthetics come to mind too, when thinking about the light string’s material designed for outdoors, whose whole point is loose implication and thus, more of an expectation than an obligation. In relation to the exhibitor, it is assigning a freedom of installation-choice. In relation to the viewer, the work offers a more tangible, but arguably similar involvement as the discreet minimalist object it stems from; by means of the bulbs’ radiant heat, the work prolongs perception. But because of its location on different levels of the museum, said heat is only partly palpable. On the top floor, one of the string light’s segments is piled up, emitting heat. Reaching entrance level, another part is hung down the wall. Not absent, but spread out on the object’s surface, the heat is unnoticed when passing by the latter. On that point, the fact remains, that it is two ends of the same string; the hanging doesn’t cut the relation. Instead, different segments trace back to one another, prompting questions of origin and connection. A question Sturtevant repeats: “What is the origin?”.

Sprüth Magers, Berlin

Pamela Rosenkranz
Alien Blue
16.09.2023 – 27.01.2024

Drinnen geht eine Treppe nach unten. Das ist ungewöhnlich für Repräsentativbauten, tut aber der Repräsentation hier keinen Abbruch. Das letzte Mal drinnen roch es nach Weihrauch. Ich hätte mir gerne eine der kleinen Devotionalien mitgenommen. Zum Beispiel den Plastikdom im Regal, den hätte ich gerne und drücke mir am Window die Nase platt. ‚A fascinating sensory experience.‘1 Was das mit Darwin und dem Weg aus dem Wasser zu tun haben soll, erschließt sich nicht. Vielleicht muss man dafür die Stufen nach oben gehen. Es schneit und ich denke an die Lichterketten Unter den Linden, an die Doppeldeckerbusse, an Butterbrote, an denen die Rinde ganz kalt geworden ist im Rucksack. Ich denke an Orte, an denen man etwas kaufen kann. Ich mag Blau, ich mag Reptilienmuster, ich mag den Plastikdom. Die schlechte Laune muss von der Treppe kommen.

Inside, a staircase leads downwards. This is unusual for prestigious buildings, but it doesn’t detract from the prestige here. Last time inside it smelled of incense. I would have liked to take one of the devotional objects with me. The plastic cathedral on the shelf, for example. I press my nose against the window. “A fascinating sensory experience.”1 What this has to do with Darwin and the way out of the sea remains unclear. Maybe one has to walk upwards to get it. It’s snowing and I think of the lights strung up along Unter den Linden, of the double-decker buses, of the sandwiches whose crusts have gone stale in my backpack. I think of those places in which one can buy something. I like blue, I like reptile-skin patterns, I like the plastic cathedral. The moodiness must be coming from the stairs.

Galerie Layr, Wien

Evelyn Plaschg, Philipp Timischl
Action Painting / Some brains can be funny
28.10.2023 – 02.12.2023

Als ich zu später Stunde in der Galerie Layr ankomme, um die Ausstellung Action Painting / Some brains can be funny von Evelyn Plaschg und Philipp Timischl zu sehen oder nicht zu sehen (das ist wohl das philosophische Problem, mit dem mich Contemporary Art Nightly konfrontiert), stelle ich fest, dass es nicht nur Nacht und die Ausstellung daher geschlossen ist, sondern dass sie sich sogar bereits im Abbau befindet – die Werke verborgen hinter weißen Tafeln, die die Fenster der Galerie verdecken. Ich bin versucht, ein wenig zu schummeln und online nach Installationsansichten zu suchen. Aber ich widerstehe und verlasse mich stattdessen auf meine Vorstellungskraft. Das scheint nicht allzu schwer, wenn man bedenkt, dass es sich um eine Ausstellung von zwei österreichischen Künstler:innen handelt, die in der lokalen Kunstszene gut etabliert sind und häufig ausgestellt werden. Ich stelle mir vor, dass Evelyns sanfte Pastellbilder und Philipps hybride, multimediale Leinwände sich in Harmonie brechen. Ich stelle mir vor, dass beide mehr vom Gleichen zeigen und eine experimentelle Kollaboration eine ansonsten sichere und verkaufsorientierte Ausstellung punktiert, ein bewährter Stil (Action Painting) für die Sammler:innen, ein wenig zum Lachen für die Massen und die Freund:innen (Some brains can be funny). Eine derart funny, brainy collab, noch nicht abgebaut und an der Fassade der Galerie noch sichtbar, materialisiert sich nun tatsächlich vor meinen Augen. Sie nimmt die Form einer Bildergeschichte, in deren Zentrum zwei niedliche anthropomorphisierte Ratten-Künstler:innen, Evelyn und Philipp, stehen. Sie zeichnet den Werdegang der beiden Ratten von ihren kleinen Heimatdörfern in der steirischen Provinz bis in die internationale Kunstgalerie in Wien nach, eine Art Meta-Kommentar über den persönlichen und doch universellen Weg zweier Kunststudent:innen-Künstler:innen und die Entstehung der Ausstellung: zwei Ratten, die sich zum ersten Mal in der Schule in Graz treffen; zwei Ratten, die nach Wien ziehen; zwei Ratten, die zwischen den Unterrichtsstunden vor der Kunstschule Zigaretten rauchen; eine Ratte, die eine andere Ratte malt, die als Dragqueen verkleidet ist; zwei Ratten, die auf einer Party in einer WG tanzen, umgeben von ihren Freund:innnen und jeder Menge Alkohol; zwei süße Ratten, die Kunst machen und sie in einer modernen Kunstgalerie in Wien ausstellen. Was für eine niedliche und nachempfindbare Erzählung! Es scheint jedoch, als ob die Rattenzwillinge als Ergebnis einer nur halb ernstgemeinten Zusammenarbeit und als Symbol für eine Ästhetik niedlicher Minderwertigkeit unwillentlich eine provinzielle Klein- und Bescheidenheit performen, die es den Betrachter:innen erlaubt, sich in der Fantasie diminutiver Künstler:innen-Existenzen zu wähnen, entgegen der Realität, dass Evelyn und Philipp zwei der wichtigsten Akteur:innen in der jungen österreichischen Kunstszene sind und entgegen der Tatsache, dass das Ziel der Ausstellung letztendlich darin besteht, Gemälde zu hohen Preisen zu verkaufen (auction painting!). Am nächsten Tag sind die Ratten weg, und ich weiß nicht mehr, ob ich überhaupt irgendetwas gesehen habe.

Arriving late at night at Galerie Layr to see or to not see (I guess that’s the philosophical problem at stake in the proposition to look at contemporary art nightly) the exhibition Action Painting / Some brains can be funny by Evelyn Plaschg and Philipp Timischl, I find the gallery not only dark and closed, but the exhibit already in the process of being deinstalled, the works hidden behind white panels covering the gallery windows. I am tempted to resort to a bit of cheating by searching for installation views online, but I opt to rely on my imagination. Given that it’s an exhibition by two Austrian artists well-established and often shown in the local art scene, this doesn’t seem too hard of a task. I envision Evelyn’s soft, pastel paintings and Philipp‘s hybrid multimedia canvases breaking each other in harmony. I imagine more of the same from both and an experimental collab punctuating an otherwise safe and sales-oriented exhibition, an approved style (action painting) for the collectors, a little laughter for the masses and the friends (some brains can be funny). Such a funny, brainy collab is indeed unfolding before my eyes, not yet deinstalled and visible on the gallery’s façade. It takes the form of a comic strip featuring two cute anthropomorphized rat-artists, Evelyn and Philipp, tracing their careers from their small home villages in the Styrian province to the international art gallery in Vienna, a sort of meta-commentary on the personal yet universal journey of two art-students-artists and the making of the show: two rats meeting for the first time at school in Graz, two rats moving to Vienna, two rats smoking cigarettes between classes outside of the art school, a rat is painting another rat dressed as a drag queen, two rats dancing at a party in a shared flat surrounded by their friends and a lot of alcohol, two cute rats making art and putting it inside a modern art gallery in Vienna. What a cute and relatable journey! However, it appears as if the rat twins, born out of a semi-serious collaboration and serving as a symbol of cute minorness, inadvertently perform a provincial diminutiveness that allows viewers to indulge in a fantasy of the artists’ small-scale existence, despite the reality that Evelyn and Philipp are two of the major players in the young Austrian art scene and despite the fact that the show’s ultimate goal is to auction painting (some brains can be funny ;)) for large-scale prices. The next day, the rats are gone and I’m not sure if I’ve seen anything at all.

Lodos Gallery, Köln

Noah Barker
A New Concept in Sailing
17.11.2023 – 16.12.2023

In einem Laden mit großen Schaufenstern, über denen in großen Buchstaben der Name der Fahrschule steht, die hier wohl bis vor nicht allzu langer Zeit ihrem Geschäft nachging, liegt, den gesamten Innenraum einnehmend, ein Windsurfbrett in dramatischer Schieflage. Das Licht brennt, die Tür ist zu, es regnet in Strömen. Der Buchstabe „V“ im Logo der Fahrschule ist zu einem Vorfahrt-Gewähren-Schild stilisiert und seine Vorsicht gebietende Dreiecksform findet im Segel des Windsurfbretts ein dynamisches Gegenüber. Nur durch den sich in der Decke verkeilten Mast scheint das Surfbrett vor dem endgültigen Umkippen bewahrt zu werden. Allem Anschein nach wurde es kaum benutzt, bevor man es in die stillgelegte Fahrschule transportierte. Ich denke an die großstädtischen Laptop- Cafés, die sich in ehemaligen Fachgeschäften befinden und nach dem Auszug der Vormieter, den verbliebenen Schriftzug über dem Laden nicht entfernten, sondern ganz selbstverständlich, zu einer wertvollen Komponente ihrer vielschichtigen Gastro-Identität machten. Mich hat das schon immer gestört, nicht aus einem allgemeinen Pessimismus gegenüber dem Zeitgenössischen, sondern wegen der plumpen Fehlinformation, die Menschen bewusst in die Irre führen will. Ich war auf der Suche nach einer geeigneten Fahrschule und stehe nun vor Noah Barkers zweiten Kölner Einzelausstellung. Es sieht so aus, als befände sich nicht mehr in der Galerie, als das schiefe Windsurfbrett. Mit Mühe entziffere ich den auf dem Fenstersims liegenden Pressetext und finde heraus, dass dieses Windsurfbrett nach den Entwürfen von James R. Drake gebaut wurde. In nebenberuflicher Tätigkeit hatte Drake 1967 das Windsurfen erfunden, während er hauptberuflich den Fortschritt der US-amerikanischen Luftwaffentechnik prägte. Sowohl sein Hobby als auch seinen Beruf übte er im Auftrag oder mit Unterstützung der berüchtigten RAND Corporation aus. Diese, für die 60er Jahre charakteristische Vermischung von Interessen, scheint mir unbedeutend, angesichts der Tatsache, dass ein Künstler aus New York im Auftrag einer in Mexico City ansässigen Galerie, zeitgleich mit der ältesten Kunstmesse der Welt, ein nagelneues Windsurfbrett in den Geschäftsräumen einer Kölner Fahrschule abstellt und dabei hofft, auf offene Ohren zu treffen. Neben dem Pressetext liegt das aufgeschlagene Gästebuch. Ich lese meinen eigenen Namen.

In a store with large display windows, above which the name of the driving school that was probably in business here until not so long ago is written in large letters, a windsurfing board lies dramatically askew, taking up the whole of the interior. The lights are on, the door is closed, and it’s pouring rain. The letter ‘V’ in the driving school’s logo has been stylized into a yield sign, and its cautioning triangular shape is dynamically contrasted by the windsurfing board’s sail. Only its mast wedged against the ceiling seems to have saved the board from completely tipping over. By all appearances the board seems to hardly have been used before it was transported to this inoperative driving school. I think of the urban laptop cafés located in what were formerly specialized stores and, after the previous tenants moved out, chose not to remove the leftover lettering above the store, but quite naturally turned it into a valuable element in their multi-layered gastro identity. This has always bothered me, not because of a general pessimism towards the contemporary, but because such false information deliberately misleads people. I was looking for a decent driving school but now stand in front of Noah Barker’s second solo exhibition in Cologne. It looks as if there is nothing in the gallery apart from the crooked windsurfing board. With difficulty I read the press release on the windowsill and learn that this windsurfing board was designed by James R. Drake. In 1967, as a sideline to his main job shaping the progress of US Air Force technology, Drake invented windsurfing. He practiced both his hobby and his profession on behalf of or with the support of the infamous RAND Corporation. This mix of interests, characteristic of the 1960s, seems insignificant to me in view of the fact that an artist from New York, commissioned by a gallery based in Mexico City, coinciding with the oldest art fair in the world, would place a brand-new windsurfing board in the offices of a Cologne driving school, hoping to find a sympathetic audience. Next to the press release I see the open guest book. I make out my own name.

Space N.N., München

Béla Juttner
Your solid life
10.11.2023 – 05.01.2024

Um das Eindringen von menschlichen Akteuren und um etwaigen Vandalismus oder zu Schaden kommen von Personen zu verhindern, ist der Zugang zu einem Stück Land an der S-Bahn Strecke abgezäunt. Hier haben nun kleinere Lebewesen die Chance auf Entfaltung, da die störenden und zuweilen gefährlichen Menschen ausgeschlossen sind. Dieses so entstandene Reservat ist keineswegs aus Gründen des Tierschutzes entstanden, sondern eben aus der Selbstbeschneidung menschlicher Bewegungsräume aus Sicherheitsbedenken für eben jene. Aus entlegener und nicht gerade pittoresker Lage evoziert sich ein Raum menschlichen Desinteresses, das den nun dort angesiedelten Hasen ein fruchtbares Habitat bietet. Friseur und Verbindung. Nicht schlagen, nur schneiden. Ich bin mir sicher, keine von beiden tragen Tabi-Boots. Großer Zeh, abgetrennt von den kleinen Nachbarn. Ein Oberteil, das Netzwerk suggeriert, vielleicht sogar ein Rhizom? Alles ist connected! Nur eben das Oberteil ohne Unterteil, Harnisch, der Schutz bietet in der Verzweigung der Stile und entschiedene Haltung als vulgäres Konstrukt erscheinen lässt.

In order to prevent any human intruders, as well as any vandalism or harm to people, access to a piece of land along the S-Bahn tracks has been fenced off. Now that the disruptive and sometimes dangerous humans are excluded, smaller creatures have the chance to flourish here. This reserve was by no means created for reasons of animal welfare, but rather as a result of a self-imposed curtailment of human areas of movement precisely out of safety concerns for them. From a remote and not exactly picturesque location, a space of human disinterest is evoked, offering a fertile habitat for the hares that have now settled there. Hairdresser and association. Not fighting, just cutting. I’m sure neither of them is wearing tabi boots. The big toe, separated from its smaller neighbors. A top that suggests a network, perhaps even a rhizome? Everything is connected! Just the top without the bottom, a harness that offers protection in the colliding of styles and makes a definitive stance appear as a vulgar construct.

Galerie Drei, Köln

Coumba Samba
This is Money
17.11.2023 – 13.01.2024

Eine aufstrebende New Yorker micro-celebrity in einer post-conceptual gallery im Rheinland. Im der Straße zugewandten Raum der Galerie ist ein Schildkrötenterrarium zu sehen, weniger sichtbar hängt eine Gruppe von Farbfeldmalereien im Hinterzimmer, die ein wenig an das Farbmuster von einem Paul-Smith-Sweater erinnern. Die bei Ausstellungen dieser Art sonst erwartbaren, phänomenologisch begründeten Erklärungsversuche im Press Release sucht man vergebens. Es wirkt eher so, als sollten wir uns auf das, was hier gezeigt wird, gar keinen Reim bilden müssen, es gibt hier keine Bedeutung, nur spielerische Sorglosigkeit. Diese Kunstwerke erwarten keine Annäherung, während wir ihnen näherzukommen versuchen und uns in Bemühung um Erkenntnis die Kopfhaut wund kratzen, ohne zu wissen wofür. Die Dualität der ausgestellten Arbeiten hat etwas seltsam transzendentes. Wo Rationalität nicht mehr greift, gehen sie ineinander über und schaffen etwas, das wenig mit dem Image einer sehr jungen Künstlerin zu tun hat, die sich mit einen Malstil aneignet, der ein wenig unzeitgemäß erscheint, und das noch weniger zu tun hat mit einem Objekt, das normalerweise das Zuhause der beiden Schildkröten der Künstlerin ist. Es ist unmöglich, die beiden Werke als getrennte Einheiten zu betrachten und nicht als Teile eines größeren Darstellungssystems, das uns schließlich zu einer Erkenntnis führen sollte. Wir fragen uns nicht einmal mehr, in welchem üppigen Terrarium diese Schildkröten in Zukunft leben werden, wenn ihr ehemaliger Lebensraum mit einer wahrscheinlich relativ guten Gewinnspanne verkauft werden würde. Die Ausstellung schafft Begehrlichkeit statt Bedeutung. Sie absorbiert uns in ihrer gewollten Offenheit, sie lässt uns ein Teil von dem sein wollen, was sie in mehrerer Hinsicht vermittelt ohne es zu benennen. Sie lässt uns wünschen, in New York geboren worden zu sein und in London zu leben, während wir um 2 Uhr morgens frierend draußen stehen, unser Spiegelbild im Fenster betrachten und uns fragen: Was zum Teufel machen wir hier?

An emerging New York micro-celebrity in a Rhineland post-conceptual gallery. What we see is a turtle tank in the front room, what we don‘t see is color field painting that somewhat resembles the color pattern of a Paul Smith sweater in the backroom. No phenomenological bullshitting in the press release, we are not asked to make sense of it. There is no meaning, just playful carelessness. These artworks don’t want to be approached by you, while you strive to do so, while you keep scratching your little head, asking yourself what to make of it. There is a strange transcendental quality to the duality of the pieces on display. Where rationality refuses to kick in they are merging into each other, further creating something that neither has anything to do with the idea of a very young artist adopting a painting style that seems a little outdated or the placement of what is normally the home of the artist’s two pet turtles in an otherwise empty section of the gallery. It’s impossible to think about either of the works as distinct entities rather than parts of a bigger system of representation that would eventually lead us to understanding. We don’t even wonder anymore in what a lavish terrarium those turtles would live in the future, if their former habitat got sold, probably with a decent profit margin. The show creates desire over meaning. It absorbs you in it’s deliberate openness, it makes you want to be a part of whatever this represents, it makes you want to be born in New York and live in London while you’re standing outside at 2am freezing your ass off, looking at your own reflection in the window, asking yourself: what the fuck am I doing here?

Lucas Hirsch, Düsseldorf

Jannis Marwitz
Doorbell rings—all paintings hide
14.11.2023 – 22.12.2023

In liberalen Demokratien vermitteln Schaufenster seit jeher das Versprechen öffentlicher Teilhabe. Alle dürfen schauen und verlangen. Sie trennen die angebotenen Waren von den Fußgänger:inenn, wie von Dieben. Gerade im Rheinland haben sich Galerien und Ausstellungsräume in den unzähligen Handelsgeschäften der Nachkriegszeit eingefunden. Der Traum von der Demokratisierung der Kunst durch die Massen und die der Massen durch die Kunst scheint hier noch wach zu sein. Die meist biedere Kunst biedert sich den Blicken einer Öffentlichkeit an, die längst schon weitergezogen ist. Umso reizvoller in diesem Zusammenhang ist Jannis Marwitz’ Ausstellung Doorbell rings—all paintings hide in der Galerie Lucas Hirsch, deren gestalterischer Kniff ebendieses installative Versteckspiel ist: In der dunklen Galerie erkenne ich mehr oder weniger schemenhaft vier Malereien – drei kleine, eine große – die so im Raum hängen, dass man sie vom Schaufenster aus kaum sehen kann. Die Bilder verstecken sich hinter Ecken, in der Ferne oder an abseitigen Wänden. Das Gemälde vorne links fällt mir ins Auge, als ich mich ihm nähere, verschwindet es hinter dem Wandvorsprung. Ich kann gerade noch Picabia-artige Röhren oder Schleifen erspähen. Das frustrierende Versteckspiel beginnt mir Lust zu bereiten: Ich kann kein einziges Bild erkennen. Die Malereien scheinen beseelt zu sein. Marwitz’ letzte Ausstellung in der Galerie gefiel mir. Kleinformatige, Alte- nördlich-der-Alpen-Meister:innen-Malereien, die in ihrer Akribie das Groteske zeitgenössischer prekärer Lebensbedingungen festhielten. Feudale Malerei für neo-feudale Zeiten. Eine der Zeichnungen am Boden, die eigentlich in meiner Preisklasse sein sollten, konnte ich mir damals nicht leisten, denn mein Magen knurrte so wie der der gemalten Figuren. Heute Nacht fällt mein Blick zuletzt auf das, was die Kunstwerke in ihrem Versteckspiel offenbaren. Die kargen weißen Wände. Das Leuchtschild der Galerie, das mit Gaffertape und Spanngurten notdürftig zusammengehalten wird. Der abgetretene Galerieboden. Scheinbar leerstehend und heruntergekommen steht die Galerie unheimlich da und unterscheidet sich nicht von den vielen anderen, in den letzten Jahren leer gewordenen Ladengeschäften, deren Warenauslagen uns im Vorbeigehen nicht mehr versichern, dass alles in Ordnung ist und bessere Zeiten vor uns liegen. Verlassen liegen im Galerieschaufenster unter der Abdeckung der Auslage viel Staub, Metallteile ohne erkennbare Funktion, Spinnenweben, ein 20Cent Stück, eine Kopfschmerztablette und ein Spachtel, mit dem jemand wohl versucht hat, die Aufkleber von der Glasscheibe abzukratzen, die Henrik Potter für eine vorherige Ausstellung in der Galerie angebracht hatte. Sie lesen: I DIDN’T GO TO WORK TODAY…I DON’T THINK I’LL GO TOMORROW LET’S TAKE CONTROL OF OUR LIVES AND LIVE FOR PLEASURE NOT PROFIT Unite against racism ACAB ALL COPPERS ARE BASTARDS dare to dream RENT IS THEFT PROPERTY IS THEFT und mir dämmert es: Nicht wir sind die Diebe, sondern die Menschen, die diese Städte besitzen.

In liberal democracies, display windows have always conveyed the promise of public participation. Everyone may look and desire. The windows separate the goods on offer from passers-by, as from thieves. Particularly in the Rhineland, galleries and exhibition spaces have appeared in the countless former retail outlets dating from the post-war period. Here the dream of a democratization of art by the masses, and of the masses by art, seems still alive and well. Mostly bland art eagerly offers itself up to the gaze of a public that has long since moved on. This makes Jannis Marwitz’s exhibition Doorbell rings—all paintings hide at Lucas Hirsch all the more appealing, a show whose creative ruse is its hide-and-seek installation: in the darkened gallery, I can more or less recognize four paintings—three small, one large—hung in the room in such a way that you can hardly see them through the gallery window. The paintings are hidden behind corners, placed in the distance, or on secluded walls. The painting at the front left catches my eye, but as I approach a projecting wall hides it. I can just make out some Picabia-like tubes or loops. I begin to enjoy this frustrating game of hide-and-seek: I can’t make out a single painting. The paintings seem to be animate. I liked Marwitz’s last exhibition at the gallery. Small-format, Old- Northern-Renaissance-Master-esque paintings, whose meticulousness captured the grotesque nature of our precarious contemporary living conditions. Feudal painting for neo-feudal times. I couldn’t afford one of the drawings near the floor, which should have been in my price range, because my stomach growled like that of the painted figures. Tonight, the last thing that strikes me is what the artworks reveal through their game of hide-and-seek. The barren white walls. The gallery’s illuminated sign, held together with gaffer tape and straps. The worn gallery floor. Seemingly empty and run-down, the gallery looms up eerily, no different from the many other stores that have become vacant in recent years, whose displays no longer reassure us as we pass by that everything is in order and better times are up ahead. Lying forlornly in the gallery window beneath its enclosure is a lot of dust, metal parts with no discernible function, cobwebs, a 20-cent coin, an aspirin, and a tool someone must have used to try to scrape from the pane of glass the stickers Henrik Potter applied for a previous exhibition in the gallery. They read: I DIDN’T GO TO WORK TODAY…I DON’T THINK I’LL GO TOMORROW LET’S TAKE CONTROL OF OUR LIVES AND LIVE FOR PLEASURE NOT PROFIT Unite against racism ACAB ALL COPPERS ARE BASTARDS dare to dream RENT IS THEFT PROPERTY IS THEFT and it dawns on me: It’s not us who are the thieves, it’s the people who own these cities.