EDITORIAL # 46
ESSEN
Mira Anneli Naß
Phung-Tien Phan
Peter Gorschlüter
Peter Miller
Britta Peters
Moritz Scheper
„Essen – Grüne Hauptstadt Europas 2017“ prangt bis heute am Essener Rathaus. Eine lebendige Erinnerung daran, dass die Gegenwart hier vor allem als ein Kult um die Vergangenheit zu verstehen ist. Sei es die Ruhr.2010, das Ruhrgebiet als Motor des Wirtschaftswunders oder Helmut RahnsTore bei der WM 1954: Gegenüber der eher tristen Gegenwart nimmt sich das alles strahlend aus. Einen entsprechend schweren Stand hat die zeitgenössische Kunst hier. Zwar bietet das angrenzende Rheinland mit Städten wie Düsseldorf und Köln eine dichte Kunstszene und selbst Dortmund hat mit seinem Kunstverein und dem HMKV seit längerem überregional wahrgenommene Ausstellungshäuser. Vom MuseumFolkwang abgesehen, schien Essen dagegen bis vor Kurzem vor allem geprägt von gescheiterten Projekten. Der vielbeschworene Strukturwandel von der Schwer- zur Kreativ-industrie hat sich als milliardenschwere Fehlinvestition erwiesen. Infolgedessen wurden aber verschiedenste Kulturprojekte in randlagige Zechenbauten geschoben,wo sie mangels Publikum verhungern. Andere „Institutionen“ wie das Kunsthaus, der Kunstverein Ruhr oder das Forum Kunst & Architektur operieren hingegen nah an der Bedeutungslosigkeit und schaffen es in keiner Weise, das vorhandene Potential der Stadt, die neben einer Universität mit der Folkwang Universität der Künste auch eine Art Kunstakademie hat, zu aktivieren.
Umso erstaunlicher ist die neue Dynamik, die seit gut zwei Jahren deutlich in der Stadt zu spüren ist. Sicherlich hat dies mit dem Direktorenwechsel am Museum Folkwang zu tun. Unter der vorherigen Leitung wirkte das Museum trotz seines internationalen Renommees häufig verschlafen. Der vom MMK Frankfurt gekommene Peter Gorschlüter hingegen scheint das Museum von seinem Image einer kulturbürgerlichen Insel hin zu einem offeneren Ort unterschiedlicher Formen von Kunstrezeption und auch -produktion wandeln zu wollen. Gleich zu Beginn ließ er eine zeitgemäße Neukonzeption der sichtbar in die Jahre gekommenen Sammlungspräsentation erarbeiten. Zudem sucht er sowohl institutionellen als auch persönlichen Anschluss an diverse Akteur*innenund gesellschaftliche Gruppen, um das Museum stärker in der Stadt zu verankern. Da mit „Der montierte Mensch“ aktuell seine erste richtige Ausstellung läuft, ist es für eine Bewertung seines Programms sicherlich noch zu früh. Dennoch lässt sich schon jetzt festhalten, dass Gorschlüter einen neuen Stil eingeführt hat, der die internationale Ausrichtung des Museums mit seiner kommunalen Struktur zu versöhnen versucht.
Mindestens ebenso wichtig für die neue Geschäftigkeit in der Stadt war das unvermittelte Auftreten des Neuen Essener Kunstvereins (NEK) im Herbst 2017. Mit einer Fokussierung auf junge, internationale Kunstschaffende wie Megan Francis Sullivan, Daphne Ahlers oder Maximiliane Baumgartner hat sich der NEK seitdem als diskursiver Ausstellungsraum etabliert, der auch als gut geschmierte Vernetzungmaschinerie funktioniert. Dazu zählen nicht nur die ausgelassenen Eröffnungsabende, welche selbst die ansonsten ruhrgebietsscheue Kunst-Crowd aus dem Rheinland anzuziehen vermögen. Vor allem arbeitet der Kunstverein gegen die kulturpolitische Lethargie in der Stadt an, indem er die versprengten lokalen Kunstproduzent*innen bei nicht-öffentlichen Vorträgen zusammenbringt und regelmäßig Kurator*innen und Galerist*innen durch Ateliers in der Stadt führt. Angepikst von solchen Maßnahmen und einer damit einhergehenden verstärkten Sichtbarkeit über die engen Stadtgrenzen hinaus, hat sich in der Kunst-Community so etwas wie ein verstärktes Selbstverständnis gebildet, was zu einer spürbaren Zunahme der Selbstorganisation geführt hat. Plötzlich schließen sich Ateliergemeinschaften für Open-Studio-Events zusammen, Ausstellungen an Off-Locations nehmen zu.
Hervorzuheben ist hier sicherlich die gut vernetzte Betreiber*innengruppe des wirklich herausragenden, leider nicht mehr existenten Ausstellungsraums NewBretagne / Belle Air um die Künstlerin Phung-Tien Phan. In ihrem Hinterhofatelierhaus in der Spichernstraße organisieren sie immer noch mehr oder minder formelle Shows im Keller oder auf der weitläufigen Terrasse ihres Atelierhauses. Die aus One-Night-Shows konzipierte Ausstellungsreihe „Trust Camp“ etwa präsentierte neben Künstler*innen aus dem eigenen Umfeld wie Simon Mielke, Frieder Haller oder Svea Mausolf auch Arbeiten von Andrzej Steinbach oder Sebastian Burger. Neben dem abgeranzten Charme dieser zugewucherten Garagenterrasse gibt es hier auch einfach gute Arbeiten zu sehen.
Nicht umsonst drängen die New-Bretagne-Künstler*innen langsam aber sicher in die Institutionen: Niklas Taleb hat kürzlich an einer Gruppenausstellung in De Vleeshal, Middelburg teilgenommen. Jonas Justen hatte eine Einzelausstellung im Westfälischen Kunstverein in Münster und Phung-Tien Phans Ausstellung „Biste links oder frustriert“ ist kürzlich bei Galerie Drei in Köln zu Ende gegangen.
Bei aller berechtigter Freude über die aktuellen Entwicklungen ist das Ganze jedoch noch sehr fragil. Klar, es entstehen tolle Sachen, die auch überregional immer stärker wahrgenommen werden. Dennoch wird sich zeigen, ob es gelingt, die verschlafene Verwaltung und das solvente, manchmal aber zu sehr im nostalgischen Mittelmaß eingerichtete Kulturbürgertum mitzureißen. Ansonsten muss der Aufbruch an der Ruhr einmal mehr abgeblasen werden. Stichwort „Grüne Hauptstadt 2017“.
Mira Anneli Naß
“Essen: European Green Capital 2017” is still emblazoned on the city hall of Essen – a striking reminder that here the present is primarily to be understood as a cult around the past. Whether Ruhr.2010, the Ruhr as the engine of the economic miracle, or Helmut Rahn’s goals at the 1954 World Cup: compared to the rather dreary present, it all looks bright.
Contemporary art has a correspondingly difficult position here. The neighboring Rhineland, with cities like Düsseldorf and Cologne, offers a dense art scene, and even Dortmund, with its Kunstverein and HMKV, has for some time had exhibition venues that are known beyond the region. Apart from the Museum Folkwang, until recently Essen seemed to be characterized by failed projects. The much-touted structural change from heavy industry to the creative industry has proven to be a bad investment totaling billions of euros. As a result, however, a wide variety of cultural projects were pushed into mining buildings on the periphery, where they starve due to a lack of visitors. Other “institutions” such as the Kunsthaus Essen, the Kunstverein Ruhr, and the Forum Kunst & Architektur, on the other hand, operate close to meaninglessness and in no way manage to activate the existing potential of the city, which in addition to a university also has an art academy with the Folkwang Universität der Künste.
All the more astonishing is the new dynamism that has been clearly palpable in the city for a good two years. This surely has to do with the change of director at the Museum Folkwang. Under the previous director, the museum often seemed sleepy, despite its international renown. Peter Gorschlüter, on the other hand, who came from the MMK in Frankfurt, seems to want to change the museum from its image of an island for the cultural bourgeoisie to a more open place for different forms of art reception and production. Right from the start, he developed an up-to-date concept for the permanent exhibition, which had become visibly dated. Furthermore, he seeks out both institutional and personal connections to various actors and social groups in order to more firmly anchor the museum in the city. Since the currently running The Assembled Human is his first real exhibition, it is certainly too early to evaluate his program. Nevertheless, it is evident that Gorschlüter has introduced a new style that attempts to reconcile the international orientation of the museum with its local structure.
The sudden appearance of the Neuer Essener Kunstverein (NEK) in autumn 2017 was at least equally important for the new activity in the city. Since then, the NEK has established itself as a discursive exhibition space that also functions as a well-oiled networking machine with a focus on young, international artists such as Megan Francis Sullivan, Daphne Ahlers, and Maximiliane Baumgartner. This includes not only the lively opening evenings, which even attract the art crowd from the Rhineland, who otherwise seldom venture into the Ruhr. Above all, the Kunstverein works against the cultural-political lethargy in the city by bringing the scattered local art producers together at non-public lectures and regularly offering tours of studios in the city for curators and gallerists. Spurred by such measures and the associated increased visibility beyond the boundaries of this small city, something like a strengthened self-image has developed in the art community, which has led to a noticeable increase in self-organization. Suddenly, studio communities are coming together for open studio events, and exhibitions at upstart locations are on the rise.
The well-networked group of organizers of the truly outstanding, unfortunately no longer existing exhibition space New Bretagne/ Belle Air around the artist Phung-Tien Phan is surely worth highlighting here. In their courtyard studio building on Spichernstraße, they still organize more or less formal shows in the basement or on the spacious terrace of their studio building. The exhibition series Trust Camp, conceived as one-night shows, has presented works by Andrzej Steinbach and Sebastian Burger in addition to artists from their own milieu such as Simon Mielke, Frieder Haller, and Svea Mausolf. In addition to the ragged charm of the overgrown garage terrace, this venue simply features good works. It is not for nothing that the New Bretagne artists are slowly but surely making their way into institutions: Niklas Taleb recently has been part of an exhibition at De Vleeshal in Middelburg, Jonas Justen had a solo exhibition at the Westfälischer Kunstverein in Münster, and Phung-Tien Phan’s exhibition Biste links oder frustriert recently ended at Galerie Drei in Cologne.
Despite all the justified joy about the current developments, it is all still very fragile. Sure, great things are being created that are also increasingly drawing attention from beyond the region. Still, it remains to be seen whether they can win the enthusiasm of the sleepy administration and the cultural bourgeoisie, which is solvent yet sometimes too caught up in nostalgic mediocrity. Otherwise, this awakening in the Ruhr will have to be called off once more, as with the “European Green Capital 2017.”
Mira Anneli Naß
Phung-Tien Phan
Artist, New Bretagne.
Co-initiator of the Off-space Belle Air, Essen
In Zeiten des Überalls,
des Permanenten,
der Sehnsucht nach der Telefonzelle, weil
mal kein Kleingeld mehr,
mal Nummer vergessen
mal ein Problem,
mal was zu erzählen, weil
mal keiner Geld wechseln will,
am besten noch aufs Maul bekommt, weil
Leute denken man sei Penner und den Mix
aus Vintage und Normcore nicht verstehen,
fühlt es sich richtig an,
Hier zu sein.
Essen, den 27.10.2019
PS: Wann sollte ein Baby das erst Mal
Cola trinken dürfen
In times of everywhere,
the constant,
the longing for the phone booth, because
no more change,
forgot the number
a problem
something to tell, because
nobody wants to change money,
get hit in the mouth because people think
you you’re a bum and don’t understand the
mix of vintage and normcore,
it feels right,
To be here.
Essen, 27 October 2019
PS: When should a baby be allowed to
drink cola for the first time?
Peter Gorschlüter
Director, Museum Folkwang
Wie und warum bist Du nach Essen gekommen?
Für mich ist es eine Wiederkehr in die Rhein-Ruhr-Region. Ich war von 2002 bis 2007 wissenschaftlicher Mitarbeiter von Ulrike Groos an der Kunsthalle Düsseldorf – das war eine intensive und spannende Zeit, die mich sehr geprägt hat. Dann folgten knapp drei Jahre als Sammlungs- und Ausstellungsleiter an der Tate Liverpool und weitere acht Jahre in Frankfurt am MMK als stellvertretender Direktor. Irgendwann habe ich mich gefragt: Wenn ich einen Wunsch frei hätte, ein Museum zu leiten, welches wäre es? Dabei kamen genau zwei Antworten heraus: erstens Museum Folkwang und zweitens … verrate ich jetzt lieber nicht (steht aber auch in der Region). Und dann hat sich vor anderthalb Jahren tatsächlich der Wunsch erfüllt.
Wodurch unterscheidet sich das Arbeiten hier von deinen vorherigen Stationen?
Zunächst einmal sehe ich für mich eine Kontinuität. Ich habe mich als Ausstellungsmacher schon immer für das Transdisziplinäre interessiert, für die Verbindungen zwischen Kunst, Musik, Theater, Film, Mode usw. Zudem hatten die meisten meiner bisherigen Ausstellungsprojekte sehr viel mit dem Menschen zu tun beziehungsweise adressierten ihn auf direkte Weise. Die Wiege dieser beiden Aspekte ist der Folkwang-Gedanke, den Karl Ernst Osthaus Anfang des 20. Jahrhunderts geprägt hat. Ich sehe mich also in einer gewissen Tradition und gleichzeitig vor die Herausforderung gestellt, was dieser Gedanke in Zeiten von Post- und Transhumanismus noch bedeutet und wie das Museum darauf aufbauend zukünftig agieren kann.
Warum ist die Stadt gerade jetzt ein guter Ort für Kunst und Künstler?
Essen ist vor allem eines: völlig unterschätzt. Die Frage ist also, wie wir dem entgegenwirken. Das geht meiner Meinung nach nur, indem wir kooperieren und auch die unterstützen, die nicht über die Möglichkeiten verfügen, die wir als großes Museum haben, aber dafür über andere, nicht weniger wichtige Potenziale und Netzwerke, um die Stadt für die Kunst und Künstler auch von außerhalb interessant zu machen. Gerade entwickelt sich eine gute Szene hier, die etwas will und miteinander kann, mit Rückhalt in Politik und Gesellschaft. Und die Stärke von Essen ist sicherlich nicht nur die bildende Kunst, sondern bezieht sich auch auf andere Künste, wie den Tanz und die Musik, und natürlich die Fotografie.
Was hat Essen in deinen Augen für Eigenheiten?
Sie ist eine Stadt der Gegensätze, die vieles vereint und dabei geerdet ist – ohne Allüren. Das macht sie so liebens- und lebenswert.
How and why did you come to Essen?
For me it’s a return to the Rhine-Ruhr region. From 2002 to 2007, I was a research assistant to Ulrike Groos at the Kunsthalle Düsseldorf. That was an intense and exciting time that greatly influenced me. This was followed by almost three years as head of exhibitions and displays at Tate Liverpool and another eight years as deputy director at the MMK in Frankfurt. At some point I asked myself: If I could run any museum I wanted, what would it be? I came up with precisely two answers: first, the Museum Folkwang, and second . . . I’d rather not say right now (but it’s also in the region). And my wish came true a year and a half ago.
How does working here differ from your previous positions?
First of all, I see a continuity for me. As an exhibition organizer, I’ve always been interested in the transdisciplinary, in the connections between art, music, theater, film, fashion, etcetera. Furthermore, most of my exhibition projects to date have had a lot to do with people or addressed them directly. The cradle of these two aspects is the F olkwang idea, which Karl Ernst Osthaus shaped at the beginning of the 20th century. So I see myself in a certain tradition and at the same time faced with the challenge of what this idea still means in times of post- and trans-humanism and how the museum can act based on it in the future.
Why is the city a good place for art and artists right now?
Essen is one thing above all: completely underestimated. So the question is, how do we counteract this? In my opinion, this can only be done by cooperating and also supporting those who don’t have the opportunities that we have as a large museum, but do have other, no less important potentials and networks in order to support the city to make it interesting for art and artists, including those from outside. A good scene is currently developing here that wants something and is capable of working together, with support from politics and society. And the strength of Essen is certainly not only the visual arts, but also relates to other arts, such as dance and music, and of course photography.
What is unique to Essen in your view?
It’s a city of contrasts that brings a lot of things together and is grounded—without pretensions. This is what makes it so lovable and livable.
Peter Miller
Artist,
Professor at the Folkwang University, Essen,
teaches Photography and Timebased Media
Liebe Mutter,
hier wütet gerade ein Schneesturm und das Internet ist ausgefallen, also nutze ich die Gelegenheit um dir zurückzuschreiben. Ja, du hast recht! Hättest du mir damals in Vermont gesagt, dass ich eines Tages in Essen leben und auf Deutsch Fotografie und zeitbasierte Medien unterrichten würde, hätte ich dir nicht geglaubt – aber ein gutes Leben hat halt Kurven! Meine Wohnung ist bescheiden, aber dafür erschwinglich. Sie liegt in einem Teil von Essen, der für seinen Kohlebergbau und den UNESCO-Tourismus bekannt ist. Der Studiengang Fotografie an der Folkwang Universität der Künste, in dem ich unterrichte, ist nur wenige Gehminuten entfernt. Ich kann also gut auch schnell mal zum Campus rübergehen, wenn ich die hervorragenden Fotolabore nutzen möchte. Das Gebäude, in dem ich unterrichte, ist zwar keine Burg, aber dafür ein Raumschiff. Es weist in die Zukunft. Die Studenten sind engagiert, offen, wissbegierig und neugierig. Mein Atelier befindet sich in einem anderen Viertel, in dem sich auch die Sammlung des Folkwang-Museums befindet und in dem ich manchmal tanzen gehe. Der Eintritt ist kostenfrei. Also, ja: Es gefällt mir hier gut. Essen ist relativ groß, daher ist es schwer, einen richtigen Überblick zu bekommen. Wie auch viele andere postindustrielle Städte befindet sich Essen immer noch im Umbruch und der Findungsphase. Aber in den nächsten 5 bis 10 Jahren, wenn andere Städte sich abmühen werden ihren Status quo aufrechtzuerhalten, wird eine Stadt wie Essen wohl eher an Größe zunehmen. Es ist das erste Mal in meinem Leben, dass ich nicht in einer Art Blase lebe, und ich finde es großartig! Andere Städte, so scheint es mir, sind oft zu sehr damit beschäftigt, das eigene historisch gewachsene Narrativ weiterzuspinnen. Wie bei uns, so sind auch die Städte, deren Zukunft eindeutig vorgezeichnet ist, einfach nur langweilig! Und das ist wohl das Charmanteste an Essen: Indem ich hier lebe, fühle ich mich wie ein Teil dieser Entwicklung. Ich darf das Bild mitentwickeln.
Liebe Grüße
Peter
Dear Mom,
There’s a blizzard here and the internet is down so I took this opportunity to write back. Yes, I agree that if you had told me back in Vermont that someday I would be living in Essen and teaching photography and time-based media in German I would not have believed you, but a good life is a winding path! My apartment is modest, but affordable. It is in a part of Essen famous for coal-mining, which has left, and UNESCO tourism, which just keeps arriving. The photo department at the Folkwang University of the Arts, where I get to teach, is only a short walk from here, so I can also stroll over to campus to use the amazing photo facilities. The building where I teach is not a fortress, but a spaceship pointed into the future and the students are eager, open, hungry and curious. My studio is in another neighborhood where I can frequent the collection at the Folkwang Museum (it’s free!) or go dancing. So, yes, I like it here, thanks for asking. Essen is big, so it’s hard to get an overview. Like a lot of post-industrial cities, Essen is still changing gears and shifting rails, but then, in the next 5–10 years, while other cities work hard simply to maintain their status quo cities like Essen are more likely to grow significantly in unforeseeable ways. It’s the first time in my life that I’ve not lived in a bubble, which is great. Other cities feel like they’re too busy performing their own historical trajectory. Much like with people, places whose future is too clear are boring. And that might be its greatest charm: by living here I feel like I get to be a part of that emergence. I get to also develop that picture, too.
With Love,
Peter
Britta Peters
Artistic director, Urbane Künste Ruhr
Im Januar 2018 bin ich aus beruflichen Gründen von Hamburg ins Ruhrgebiet gezogen. Die Region selbst, mit all ihren Brüchen und Neuanfängen, erschien mir dabei genauso interessant wie meine neue Stelle als Künstlerische Leitung der Urbanen Künste Ruhr. Gute Voraussetzungen also: Als dezentrale Institution für Gegenwartskunst veranstalten wir Kunstprojekte im öffentlichen Raum. Spannende Orte und Situationen sind dafür unabdingbar. Diesbezüglich habe ich das Ruhrgebiet sogar einmal als „Gelobtes Land“ bezeichnet, sehr zum Erstaunen meiner älteren Gesprächspartner: alles gestandene Männer aus dem Pott. In den Augen dieser Generation stehen noch immer der Niedergang der Industrie und der Stolz auf den von ihnen mitgestalteten Strukturwandel im Vordergrund. Dass man neben Vergangenheit und Zukunft auch der Gegenwart viel Positives abgewinnen kann, wirkt dann auf sie eher naiv, so als ob man die vielen Probleme nicht sehen würde. Aber die sehe ich natürlich, genauso wie die guten Ideen, wie man Dinge verbessern kann. Die Auseinandersetzung damit macht die Realität von einer Stadt wie Essen – nehmen wir sie mal pars pro toto – für die Kunst so fruchtbar und hoffentlich umgekehrt, die Kunst für die Stadt. Die großen, globalen Themen, Arbeit, Migration, Mobilität, bilden sich hier wie unter dem Mikroskop ab, und die Künstlerinnen und Künstler verhalten sich dazu. Das Ruhr Ding, ein jährlich im Mai und Juni stattfindendes Ausstellungsformat, verbindet jeweils mehrere Städte, indem es 15 bis 20 unterschiedliche Projekte zeitgleich an verschiedenen Orten zeigt. Dass sich einige Strecken dabei auch gut mit Fahrrad und ÖPNV bewältigen lassen und auf diese Weise viel mehr Leben auf die Straßen kommt, kommunizieren wir hartnäckig und versuchen wir gezielt zu fördern. Wenn da langfristig ein Umdenken gelingt, umso besser!
In January 2018 I moved from Hamburg to the Ruhr for professional reasons. The region itself, with all its breaks and new beginnings, seemed just as interesting to me as my new position as artistic director of Urbane Künste Ruhr. So the conditions were good: as a decentralized institution for contemporary art, we organize art projects in public spaces. Exciting locations and situations are essential for this. In this regard, I once referred to the Ruhr as a “Promised Land,” much to the astonishment of my older interlocutors: all older men from the region. In the eyes of this generation, the decline of industry and pride in the structural change they helped bring about are still important aspects. The fact that, in addition to the past and the future, there are also many positive things to be gained from the present seems rather naive to them, as if you couldn’t see the many problems. But of course I see them, as well as the good ideas on how things can be improved. Engaging with this makes the reality of a city like Essen—to take it pars pro toto—so productive for art, and hopefully vice versa, art for the city. The major, global issues—work, migration, mobility—are present in this microcosm, and artists address this. Ruhr Ding, an exhibition format that takes place annually in May and June, connects several cities by showing 15 to 20 different projects at various locations simultaneously. We persistently communicate the fact that some routes can be taken by bike and public transport and that this brings much more life to the streets, and we deliberately try to promote this. If this brings about a lasting paradigm shift, so much the better!
Moritz Scheper
Director, Neuer Essener Kunstvereinuhr
So richtig habe ich nie verstanden, warum eine Stadt wie diese keinen großen Kunstverein hat. Als der tolle Projektraum Belle Air dann dichtgemacht hat, haben wir mit einigen Leuten, die lange außerhalb des Ruhrgebiets gelebt haben, im Frühjahr 2017 den Entschluss gefasst, diesen Verlust mit einer neuen Institution abzufedern. Dafür bin ich auch zurück ins Ruhrgebiet gekommen. Ganz allgemein gesagt, versuchen wir, aus Essen zum internationalen Kunstdiskurs beizutragen und damit die Stadt auch inhaltlich besser anzuschließen. Vielleicht haben wir ein bisschen was losgetreten, wahrscheinlich aber auch einfach einen guten Zeitpunkt abgepasst, denn gerade kommt hier einiges ins Rollen. Unter neuer Leitung befragt das Museum Folkwang seine Rolle in der Stadt stärker, die Künstler aus dem New-Bretagne-Umfeld drängen in Galerien und Institutionen, es gibt einen neuen Kulturdezernenten und ganz allgemein tritt aktuell die Generation ab, die über Jahrzehnte nicht wahrhaben wollte, dass Kohle und Stahl vorbei sind. Die niedrigen Mieten und die Nähe zum Rheinland machen die Stadt überdies attraktiv, wobei wir an unseren Besuchern auch merken, dass Brüssel, Amsterdam und Paris nicht so weit entfernt sind. Natürlich nervt es, dass Kulturprojekten nach wie vor die Aufgabe zugeschustert wird, Quartiere wiederzubeleben. Man ist hier auch nahezu täglich mit der Trägheit einer Region konfrontiert, die seit 30 Jahren nur Abschwung kennt. Und klar, die Menge an interessanten Akteuren ist hier etwas kleiner als in Köln oder Frankfurt, was zum Beispiel auch zur Folge hat, dass für bestimmte Inhalte manchmal die Voraussetzungen fehlen. Aber dafür ist es mit vergleichsweise wenig Aufwand möglich, die künstlerische Arbeit oder Raummieten querzufinanzieren. Und was ich wirklich schätze: Man hat hier zu keinem Zeitpunkt das Gefühl, mit seiner Arbeit nur ein kunstblasiges Positionsspielt zu bedienen, sondern dem realen Ort wirklich etwas hinzuzufügen.
I never really understood why a city like this doesn’t have a major Kunstverein. When the great project space Belle Air closed, along with some people who had lived outside the Ruhr for a long time, in spring 2017 we decided to compensate for this loss with a new institution. That’s why I came back to the Ruhr. Generally speaking, we try to contribute from Essen to the international art discourse and thus to better integrate the city on these topics. Maybe we helped kick some things off, but probably we just did it at the right moment, since things are starting to get moving here. With a new director, the Museum Folkwang is increasingly questioning its role in the city, the artists from the New Bretagne milieu are making their way into galleries and institutions, there is a new head of cultural affairs, and, in general, the generation that for decades didn’t want to admit that the days of coal and steel are over is making an exit. The low rents and the proximity to the Rhineland also make the city attractive, although we also notice from our visitors that Brussels, Amsterdam, and Paris are not so far away. Of course it is annoying that cultural projects are still being given the task of revitalizing neighborhoods. Almost on a daily basis, we’re confronted with the sluggishness of a region that has experienced a continual downturn for almost 30 years. And of course, the number of interesting actors here is somewhat smaller than in Cologne or Frankfurt, which also means, for example, that the prerequisites for certain topics sometimes don’t exist. But, on the other hand, it is comparably less difficult to find financing for artworks or to rent spaces. And what I really appreciate is that at no point do you get the feeling that your work is only useful to a game of positioning within an art bubble. Instead, you feel you’re really adding something to the place.