EDITORIAL # 25

ETABLISSEMENT D’EN FACE, BRÜSSEL / BRUSSELS

EIN GESPRÄCH MIT ETIENNE WYNANTS

Wie ist Etablissement d’en Face zu dem geworden, was es heute ist?

Etablissement d’en Face wurde 1991 von einigen Künstlern aus Brüssel ohne nennenswerte öffentliche Förderung nur mit selbst erbrachter Energie, Zeit, eigenen Ideen und dem Engagement eingeladener Künstler und Mitarbeiter gegründet. Diejenigen, die das Etablissement heute leiten oder an ihr beteiligt sind, speisen ihre Motivation aus jenem ursprünglichen Antrieb, der den Motor bis heute am Laufen hält. Dieser ursprüngliche Antrieb besteht aus Neugierde, Faszination oder Interesse, das die Mitglieder des Etablissements für die Arbeit eines Künstlers, Kurators oder für ein anderes Phänomen unserer Gesellschaft entwickeln.
Diese Punkte werden dann innerhalb einer kleinen Gruppe von acht Personen, aus denen sich das Etablissement unverändert zusammensetzt, diskutiert. Schließlich werden einige dieser Interessen oder Faszinationen zu einem öffentlichen Ereignis wie einer Ausstellung, einer Publikation, einem Screening, einer Lesung, einem Event oder einer Performance ausgearbeitet. Ohne den Witz, die Energie oder das kritische Engagement, das die Mitarbeiter gemeinsam mit den eingeladenen Gästen aufbringen, um diese öffentlichen Ereignisse zu realisieren, könnte das Etablissement niemals so fortbestehen, wie es das bis heute tut.
Wir erhalten seit 2006 eine maßgebliche Förderung durch die flämische Regierung, was unseren Handlungsspielraum deutlich erweitert hat. Trotzdem müssen wir keine größeren Kompromisse eingehen. Das ist ein Luxus, den es so in Belgien bisher kaum oder gar nicht gegeben hat. Unsere Arbeit wird zwar durch administrative, repräsentative oder private Interessen zum Teil kontrolliert, aber nicht gänzlich gesteuert. Wenn ästhetische Fragen oder Zweifel aufkommen, stammen diese meist aus den eigenen Reihen.

Ihr seid eine nicht-kommerzielle Künstlerinitiative. Warum interessiert es euch, an einer Kunstmesse teilzunehmen?

Das Etablissement d’en Face hat nur einmal in 2013 an einer Kunstmesse teilgenommen. Damals wurden wir zusammen mit anderen nicht-kommerziellen Initiativen zur Art Brussels eingeladen. Die Messeleitung wollte der Öffentlichkeit gegenüber betonen, dass neben kommerziellen Galerien auch alternative Räume aktiv und wichtig sind. Für uns war es eine Herausforderung zu entscheiden, wie wir auf der Messe auftreten sollten. Nicht, dass wir gegen kommerzielle Galerien oder Kunstmessen wären. Ganz im Gegenteil, da müssen wir ehrlich und realistisch sein, zeitgenössische Kunst ist auf einen Markt angewiesen, der sie in der Gesellschaft etabliert. Aus Kunstmessen und Galerien können Künstler Gewinn schlagen.
Aber wie sollte das Etablissement auf der Messe auftreten? Ein paar von uns haben vorgeschlagen den Messestand mit einer weißen Wand zu verschließen und als Eingang eine alte Eichentür samt einer herkömmlichen Türklingel in die Wand einzulassen. Die Tür konnte nur von einer Seite geschlossen werden. Auf dem Stand wurden zehn kleine Bilder des Künstlers Steinar Haga Kristensen zum Kauf angeboten. Jedes der Bilder war eine Variationen eines seiner Themen. So zeichnete sich die Präsenz des Etablissement auf der Messe durch einen Raum aus, der Intimität auch auf einer Messe zuließ. Wir wussten nie, wem wir Zugang zu dem Stand verweigerten wenn wir die Eichentür von innen verschlossen hatten. Übrigens wurde nicht ein einziges Bild verkauft, obwohl der Künstler tolle Arbeiten lieferte und eine großartige und vielbeachtete Einzelausstellung in unserem Ausstellungsraum hatte. Wir sind wohl ziemlich schlechte Galeristen und es mangelt uns an kommerziellen Qualitäten.

Steinar Haga Kristensen, office installation, 2013

Von der Größe her lässt sich Brüssel mit Köln vergleichen. Trotzdem bleibt Brüssel eine eher provinzielle Stadt. Über die Stadt verteilt finden sich lauter Gegensätze, alles, von äußerst armem bis hin zu extrem reichen Nachbarschaften. Wir sollten nicht übertreiben und diese Stadt als den neuen hippen Ort feiern. Man muss wissen, dass Brüssel während Belgiens Föderalisierungsprozesses einen starken Niedergang erlitten hat. Belgien wurde damals in die Regionen Flandern, Wallonien und Brüssel aufgeteilt. Allein die Region Brüssel hat nicht weniger als 19 Bürgermeister, die alle versuchen ihren jeweiligen Bezirk anständig zu regieren. Als i-Tüpfelchen kommt ein übergeordneter Ministerpräsident hinzu. Und es gibt sowohl flämische als auch französische Gemeinden, die über die Kulturpolitik einer Stadt entscheiden, die definitiv nicht allein die ihre ist… Keine der vielen Regierungen kann die Stadt gänzlich für sich beanspruchen, wodurch sie zu einem stark fragmentierten Ort mit unterschiedlichen Zentren wird. Manche nennen das Resultat „surreal“, während es sich vielmehr als harte Realität für die Einwohner herausstellt. Auf dem Gebiet zeitgenössischer Kunst hat das dazu geführt, dass die öffentlichen Institutionen sich überhaupt nicht entwickelt haben. In Brüssel, wie in ganz Belgien, kann man nichts finden, das so solide wie das Kölner Museum Ludwig oder die Kunstsammlung NRW in Düsseldorf wäre.
Was diese Stadt allerdings immer geboten hat ist das Engagement ihrer Privatpersonen, die eine Menge ihrer Zeit, ihres Interesses und ihrer Energie für zeitgenössische Kunst aufbringen. Wir haben im letzten Jahrzehnt eine wachsende Anzahl an Galerien, Künstlern, kommerziellen und nicht-kommerziellen Initiativen. Begleitet wurde dies von einer wachsenden Beteiligung der breiten Öffentlichkeit. Die Galerien profitieren sowohl von ihrem Engagement auf den internationalen Kunstmessen als auch von den vielen lokalen Sammlern, die ihrerseits öffentlich zeigen möchten, welche Künstler sie wertschätzen.
Private Initiative ist sicher eine der wichtigsten Antriebskräfte, wobei man nicht die vielen Einzelgänger vergessen darf, die ihre Leidenschaft diskret hinter verschlossenen Türen ausleben. Ohne private Initiative wären viele öffentliche Institutionen, wie zum Beispiel das Künstlerzentrum Wiels, undenkbar. Ohne die Bemühungen einer Handvoll wirklich passionierter Leute, die die Behörden unablässig dazu gedrängt haben sich an diesem öffentlichen Projekt zu beteiligen, wäre das Wiels niemals möglich gewesen. ‚Surreal‘ ist zum Beispiel aber auch die höchst fragwürdige Schließung der Abteilung des 20. Jahrhundert des Royal Museums of Fine Arts.
Gemessen an den 80ern und 90ern hätten wir nie gedacht, dass sich die Dinge so drastisch ändern würden. Zum Beispiel die vielen ausländischen Künstler, die nach Brüssel kommen und für ein paar Jahre in der Stadt bleiben, ihrer Anwesenheit verdanken wir eine Menge Input. Man kann all das nicht ohne weiteres zusammenfassen oder erklären. Einer der Gründe ist vielleicht eine im Vergleich zu den umliegenden Städten relativ kostengünstige Wohnsituation bei schneller Anbindung an große und wohlhabende Städte. Es gibt in Brüssel ein lebendiges Nebeneinander von Kulturen, wobei die dominanten französischen und flämischen Kulturen schließlich erkennen müssen, dass sie aus internationaler Sicht nur von lokaler Bedeutung sind. Der engagierte Brüsseler ist neugierig auf das, was von außerhalb kommt, so wie man sich noch immer dessen bewusst ist, dass die meisten von uns als Immigranten in diese Stadt kamen. Über die Stadt verteilt gibt es viele Initiativen, die genau von solchen neu hinzugezogenen Leuten gegründet wurden. Diese finden eine Nische und bauen ihre Position innerhalb der größeren Einheit der Stadt aus. Und ich habe die Hoffnung, dass wir nicht bloß als Konkurrenten zueinander stehen.

Danh Vo, Dirty Dancing, 2013

Du hast erwähnt, welche wichtige Rolle die Kunstszene im Rheinland für Dich gespielt hat, vor allem auch, was die Vergangenheit angeht. Als Teil der Szene im Rheinland, denke ich sagen zu können, dass wir Brüssel gegenüber das gleiche empfinden. Siehst du eine Möglichkeit der Annäherung?

Ich persönlich bin schon früh aus Brüssel rausgekommen und konnte mir Kunst im Original anschauen, wenn ich das Rheinland besucht habe. Auch heute noch kann man dort, direkt hinter der Grenze, Ausstellungen sehen, die man in Belgien so nicht zu sehen bekommt. Und das ging in den letzten Jahrzehnten so weiter, während ein großer Teil der Geschichte sich über Jahrhunderte nachvollziehen lässt. Orte wie Bonn, Mönchengladbach und Dortmund sind voll von Spuren dieser neueren Vergangenheit. Manche sind noch lebendig, andere sind bereits Geschichte. Das hat mich sehr beeindruckt, und wir alle zehren noch heute von dieser Vergangenheit. Wir nehmen dies einfach so mit, während wir in einem anderen kulturellen Alltag leben. Von Wilhelm Lehmbruck über Martin Kippenberger bis hin zu Isa Genzken gibt es im Rheinland viele wichtige und einflussreiche Individuen und Künstler. Dazu kommen noch die aus dem Ausland in die Region eingeladenen Künstler. Das ist ein Privileg, Luxus und Genuss zugleich. Wer möchte nicht Teil davon sein oder wenigstens in der Nähe leben?

A DISCUSSION WITH ETIENNE WYNANTS

How did Etablissement d’en Face become what it is now?

In 1991, a group of artists living in Brussels founded Etablissement d’en Face. Despite having no public funding, they established this association with their own energy, time and ideas, as well as the engagement of invited artists and collaborators. Furthermore, the current management and collaborators have managed to continue the same elemental drive that originally got the engine running. Their drive consists in a curiosity, fascination and interest in working with other artists, curators and other agents they happen to find in broader society. Initially, we try to discuss and share these interests amongst the relatively small group of eight people that make up Etablissement to date. Eventually, some those fascinations develop further into public events in the form of shows, publications, film screenings, performances, events, lectures etc. Without the ideas and energies of these people, without their critical engagement with external collaborators in order to realise those events, Etablissement would never have worked out the way it has until now.
Since 2006 though, Etablissement has been enjoying significant public funding from the Flemish government and that increases the possibilities for our activities, without us having to make too many compromises in terms of how and what we can share with our public or invited guests. It’s a luxury that didn’t exist, or almost didn’t exist, in Belgium until recently. Our operations are observed, but they’re not decided by administrative, representational or strictly private demands. When aesthetic issues and frustrations arise, they usually come from within the circle of people engaged with the association. We have to work our own situation out.

You are a non-profit artist initiative. How is participating in an art fair interesting for you?

Etablissement only participated in an art fair once, in 2013, when we were invited, alongside other non-profit initiatives, to participate in the Art Brussels. The fair hoped to expose the public to programmed spaces which were distinct from proper commercial galleries, but also active and crucial in the field.
For us it was a challenge to decide how and what we would exhibit there. Not that we’re against commercial galleries or art fairs, not at all. Quite the opposite. Let’s be honest and realistic! Contemporary art, like any human activity, needs a market and resources to contribute to its appearance, its distribution, in order for it to happen. Galleries and art fairs are some of those resources that artists can profit from.
But how should Etablissement appear at this fair? We came up with a proposal to close off the booth with a white wall and install an old, authentic oak door with an ordinary doorbell. The door could only be closed from the inside. Steinar Haga Kristensen offered us ten small paintings to sell, all variations on one of his themes.
So Etablissement left its mark on that art fair with a space that showed that intimacy was also possible within the market. We had no idea who we were refusing access to when we had the door closed. For your information, not a single painting got sold, though the artist delivered great work and had an amazing solo show in our regular space. We’re such inefficient gallerists! Yes, we lack commercial qualities.

Steinar Haga Kristensen, office installation, 2013

How has the art scene in Brussels changed in the last years and what is it like at the moment?

Brussels is comparable with Cologne in size, but can you compare the art scene? Brussels, after all, has remained a relatively provincial city where you can find a minimum of diversity spread out over the city from utterly poor to extremely wealthy neighbourhoods. But we shouldn’t overstate it or hype this town as the new place to be. You should know that Brussels as a city has suffered a massive decline due to the federalisation of Belgium into the regions of Flanders, Wallonia, and as a gordian knot, the Brussels region. The Brussels region itself has no less than 19 mayors, each doing their best to run their respective districts, a minister-president as a cherry on top and both the Flemish and French communities deciding on cultural policies in a city which isn’t fully theirs. None of the various governments can fully claim the city, resulting in a fragmented, multi-centered place. Some euphemistically describe the result of that as ‘surreal’, but it can also become a cold reality for the inhabitants.
The effect of that on contemporary art was that public institutions didn’t flourish at all. You can’t enjoy anything as solid as Cologne’s Museum Ludwig or Düsseldorf’s K20/ K21 in Brussels or the rest of Belgium for that matter.
On the contrary, what this city did and does offer is the engagement of its private individuals, who invest a lot of time, interest and energy in contemporary art. Looking back at the last decade, you can see an extraordinary proliferation in the number of galleries, artists, commercial and non-profit initiatives, accompanied by a larger public showing up and contributing. The galleries themselves grew thanks to efforts at connecting internationally through art fairs and networking, but they’re also profiting from many local private collectors, who, in turn, are eager to show the artists they cherish in public. This private initiative is certainly a major force, not forgetting the many actors who live their passion super discretely behind closed doors. Without the private initiative in Brussels, many of the public institutions, like Wiels for example, would be absolutely unthinkable. Without the efforts of a handful of dedicated private individuals stubbornly soliciting the public authorities for their cooperation, Wiels would never have been possible.
Another ‘surreal’ situation, for example, was the closure of the 20th century department of the Royal Museums of Fine Arts some years ago due to some highly questionable arguments.
Compared with the 1980’s and 90’s, we could never have imagined that such a drastic evolution would occur, like the number of foreign artists staying for a few years in this town, for example. We have to thank them a lot for contributing their subjectivities.
One can’t easily summarize how and why that happened. Maybe it was the cheaper housing situation relative to some of the larger cities around while still being easily connected to said larger and richer cities. Perhaps the mixture of cultures becoming very apparent in Brussels while the dominant French and Flemish cultures at last realizing that they’re only of local importance when seen from an international perspective.
And also the engaged persons in Brussels being curious about what’s happening outside, as they remember that most of us are immigrants in this town. There are a lot of new initiatives spread across town beeing developed by exactly these people who have found and cultivated their own spot within the larger entity. And I have the feeling, certainly the hope, that we don’t act like rivals to each other.

Danh Vo, Dirty Dancing, 2013

You mentioned the importance of the Rhineland’s art scene for you, also in terms of the past. Being part of this scene you’ve mentioned, I think we feel the same about Brussels. Do you see any ideas for an approach?

From an early age on, I personally happened to get a lot of fresh air and chances to see art in person by visiting the Rhineland. One could, and still can, see shows there, just across the border, that one can’t possibly see in Belgium. And this has been active for at least some decades, while the history of all that activity can be traced back over the last hundred years. Inbetween Bonn, Mönchengladbach and Dortmund are full of traces and places, asleep or still active, rooted in the last century. That’s pretty impressive and these traces and places still feed us today. We get all that for free by living in another day to day cultural practice than we live in our own country.
From Wilhelm Lehmbruck to Martin Kippenberger, Isa Genzken and so many other artists and individuals in between, and furthermore all the foreign artists invited to this region. It’s impressive and a privilege, luxury and pleasure alike. Who doesn’t want to be part of that or at least in an environment of that?
How to promote the proximity of both regions? Personally, I only believe in individual initiative, working from the bottom up. Getting that proximity organised by heads of administration or governmental collaborations, I fear, is killing the subjectivities and poetry of individual initiatives. One should avoid formality and prefabricated framing.