EDITORIAL # 60

Martijn van Nieuwenhuyzen

De Pont ist ein unabhängiges Museum für zeitgenössische Kunst, das in einer ehemaligen Wollspinnerei in Tilburg untergebracht ist, etwa 2 Autostunden von Düsseldorf entfernt. Benthem Crouwel Architects verwandelten das Industriegebäude mit seinem charakteristischen Sägezahndach in einen außergewöhnlichen Ausstellungsraum mit viel natürlichem Licht. Das Museum wurde 1992 eröffnet und 2016 um einen neuen Flügel erweitert, in dem unter anderem Fotografie und Videopräsentationen gezeigt werden. In den Anfangsjahren konzentrierte sich die Sammlung vor allem auf Malerei und Skulptur. Heute bilden auch andere Medien wie Installationen, Performances, Film und Fotografie die Grundlage für ein wechselndes Ausstellungsprogramm. Dabei wird die Entwicklung von Künstlern über einen längeren Zeitraum hinweg verfolgt. Das Museum wurde nach dem Tilburger Anwalt und Unternehmer Jan de Pont (1915–1987) benannt, dessen Stiftung die Förderung der zeitgenössischen bildenden Kunst finanziert. Cahier sprach mit dem Direktor und Chefkurator Martijn van Nieuwenhuyzen.

De Pont is an independent museum of contemporary art, housed in a former woollen mill in the city of Tilburg, about a two-hour drive from Düsseldorf. Benthem Crouwel Architects transformed the industrial building, with its characteristic sawtooth roof, into an exceptional exhibition space with abundant natural light. The museum opened in 1992; in 2016 it was expanded with a new wing for, among other things, photography and video presentations. In the early years, the collection focused primarily on painting and sculpture. Today, other media such as installations, performances, film and photography also provide the basis for a rotating programme of exhibitions. This involves following the development of artists over an extended period of time. The museum was named for the Tilburg lawyer and entrepreneur Jan de Pont (1915–1987), whose endowment funds its efforts to promote contemporary visual art. Cahier spoke with director and head curator Martijn van Nieuwenhuyzen.

Installation view exhibition The Route is Being Recalculated, Richard Long, Rosemarie Trockel, Michel François, De Pont museum, Tilburg, 2020

Nachdem Sie seit 1991 am Stedelijk Museum Amsterdam tätig waren und den ehemaligen experimentellen Projektraum des Stedelijk leiteten – das Stedelijk Museum Bureau Amsterdam –, kuratierten Sie 2005 unter anderem den niederländischen Pavillon auf der Biennale von Venedig. Von 2000 bis 2003 waren Sie außerdem Associate Director of Exhibitions am Institute of Contemporary Arts in London. Heute leiten Sie ein äußerst beliebtes niederländisches Museum für zeitgenössische Kunst, das in einem Wahrzeichen der Industriearchitektur des frühen zwanzigsten Jahrhunderts untergebracht ist. Können Sie das De Pont Museum in Bezug auf die niederländische Museumslandschaft beschreiben?

Das De Pont gehört zu den ältesten privaten Nachkriegsinstitutionen für zeitgenössische Kunst in den Niederlanden und ist damit einzigartig unter den weitgehend staatlich finanzierten niederländischen Kunstinstitutionen. Der Betrieb des Museums wird finanziell durch eine Stiftung ermöglicht, die der Gründer Jan de Pont, ein Rechtsanwalt und Unternehmer, dem Museum in den späten 1980er-Jahren vermacht hat. 8 9 Im Gegensatz zu vielen anderen Privatmuseen ist das De Pont nicht aus einer privaten Kunstsammlung hervorgegangen. Die Sammlung entstand mit der Eröffnung des Museums im Jahr 1992 von Grund auf neu. Nach und nach wurde das Gebäude zu einem vollwertigen Museum weiterentwickelt, das sich durch beeindruckende lichtdurchflutete Galerien, einen neuen Seitenflügel, in dem wir Videoarbeiten, Installationen und ähnliches ausstellen, ein sehr hübsches Café und einen von unserem japanischen Gartenbaukünstler Kazumi Makino gestalteten Garten auszeichnet – ein kunstvolles Zusammenspiel von Blumen und Pflanzen aus Ost und West, das sich mit den Jahreszeiten verändert. Das De Pont befindet sich in Tilburg, einer ehemaligen Mühlenstadt. Das Museum ist in der vormaligen Wollspinnerei der Textilfabrik Thomas de Beer untergebracht, die 1854 gegründet wurde. Die De Beer-Fabrik zählte in Tilburg zu den größten ihrer Art. Das Erbe der Textilindustrie macht sich in dem enormen Raumplan des Museums noch immer bemerkbar. Es gibt beispielsweise eine riesige Halle, in der früher die Spinnmaschinen standen, oder Reihen von kabinettartigen Räumen, die für die Lagerung von Rohwolle genutzt wurden. Insgesamt verfügt das Museum über 7.000 m2 Ausstellungsfläche, etwa so viel wie das Stedelijk Museum in Amsterdam, aber sie ist auf eine ganz andere Art und Weise angelegt. Der äußerst wandelbare Raumplan lässt es zu, Ausstellungen jedes Mal anders zu gestalten. Ich nenne das De Pont gerne ein „Labyrinth-Museum“: Manchmal gibt es fünf alternative Möglichkeiten eine Ausstellung zu betreten. Während Sie durch das Gebäude schlendern, kuratieren Sie sozusagen Ihren eigenen „Kunstspaziergang“. Unterwegs trifft man nicht nur auf Werke aus der Wechselausstellung, sondern auch auf Arbeiten aus der ständigen Sammlung. Ich habe eine Vorliebe für leere Wandflächen auf allen umgebenden Seiten, so dass man sich wirklich auf jedes Kunstwerk konzentrieren kann, ohne dass das nächste bereits im Augenwinkel zu sehen ist und Aufmerksamkeit auf sich zieht. Rita McBride nannte das Museum kürzlich einen „Künstler*innen-Traum“. Hier kann man sich auf besonders direkte Weise mit der Kunst auseinandersetzen. Einer unserer Grundwerte ist, dass wir von den Künstler*innen ausgehen: Bei uns stehen die Künstler*innen immer an erster Stelle. Anstatt zu versuchen, alles zu zeigen und zu sammeln, was in der Kunstwelt passiert, beschränken wir uns auf eine relativ kleine Anzahl von Künstler*innen, von denen wir dann idealerweise einen tiefgehenden Querschnitt von Werken erwerben, um einen Eindruck von ihrer künstlerischen Arbeit insgesamt zu vermitteln. In manchen Fällen können wir aus der Sammlung heraus eine ganze Ausstellung zusammenstellen, wie zum Beispiel mit den Werken von TacitaDean und Fiona Banner.

After working at the Stedelijk Museum Amsterdam since 1991 and being the director of the Stedelijk Museum Bureau Amsterdam— the former experimental project space of the Stedelijk—you curated the Dutch Pavilion at the Venice Biennale in 2005. From 2000 to 2003, you were Associate Director of Exhibitions at the Institute of Contemporary Arts in London. You are now heading a muchloved Dutch museum for contemporary art, in a landmark of early twentieth-century industrial architecture. Can you describe De Pont in relation to the Dutch museum landscape?

De Pont is among the oldest postwar private institutions of contemporary art in the Netherlands, making it unique within the largely state-funded world of Dutch art institutions. The museum’s operations are funded by an endowment left to the museum by its founder Jan de Pont, a lawyer and entrepreneur, in the late 1980s. Unlike many other private museums, De Pont was not established from a private art collection. Its collection was started from scratch when the museum opened in 1992. Gradually, the building has been expanded into a full-fledged museum boasting amazing galleries filled with natural light; a new wing where we display video works, installations and so on; a very charming café and a garden designed by our Japanese horticulturist Kazumi Makino, which features an artful interplay of flowers and plants from East and West that changes along with the seasons. De Pont is located in Tilburg, a former mill town. The museum is housed in the former wool-spinning mill of the Thomas de Beer textile factory, which was founded in 1854. The De Beer factory was one of the largest in Tilburg. The legacy of the textile industry is still palpable in the vast floor plan of the museum. There is an enormous hall where the spinning machines once stood, for instance, and rows of cabinet- like rooms that were used to store the raw wool. It has a total of 7,000 m2 of exhibition space—about the same as the Stedelijk Museum in Amsterdam, but arranged in a completely different way. The extremely flexible floor plan lets us arrange the exhibitions differently every time. I like to call it a “maze museum”: sometimes there are five alternative ways to enter an exhibition. As you stroll through the building, you are curating your own “art walk”, as it were. Along the way, you encounter not only works from the temporary presentation but pieces from the permanent collection as well. I myself like having tons of empty wall space on all sides so you can really concentrate on each artwork without having the next one in the corner of your eye, trying to grab your attention. Rita McBride recently called the museum “an artist’s dream”. You can engage with the art so directly here. One of our core values is that we are artist-driven: with us, the artist always comes first. Rather than trying to display and collect everything that happens in the art world, we limit ourselves to a relatively small number of artists, from whom we then ideally acquire an in-depth cross-section of works in order to give an impression of their artistic practice. In some cases, we’re able to put together an entire exhibition from the collection, as we did with Tacita Dean and Fiona Banner.

Installation view exhibition National Chain 2020/Social Practices – Rita McBride, Alexandra Waierstall and Fontys Dance Academy, De Pont museum, Tilburg, 2021

Installation views Thomas Schütte – Westkunstmodelle 1:1, De Pont museum, Tilburg, 2023

Die Sammlung des Museums wurde von Hendrik Driessen aufgebaut, dem Gründungsdirektor des De Pont, der das Museum fast dreißig Jahre lang leitete. Sie verfügen über viel Museumserfahrung und stehen in großem Ansehen beim Entdecken junger Talente. Inwieweit unterscheiden sich Ihre Grundsätze von denen Ihres Vorgängers und inwieweit beeinflusst das Ausstellungsprogramm die Sammlung?

Das De Pont gründet auf dem untrennbaren Zusammenspiel zwischen den Ausstellungen und der Sammlung. Manchmal kaufen wir Werke aus den Ausstellungen an. Aber wir sammeln auch mit Blick auf zukünftige Projekte, das heißt, wir stellen bereits vor einer Ausstellung eine Gruppe von Werken eines bestimmten Künstlers oder einer Künstlerin zusammen. Ein Beispiel dafür ist Beatriz González, die Grande Dame kolumbianischer Kunst, von der wir während der COVID-Zeit eine fantastische Gruppe von Gemälden und Arbeiten auf Papier erworben haben. Diese Werke befassen sich mit den Themen Migration und Verschwinden in der kolumbianischen Gesellschaft, in der Gewalt Spuren hinterlassen hat. Ich hatte diese Werke schon Jahre zuvor in González’ Haus und Atelier in Bogotà gesehen. Nächstes Jahr werden wir in Zusammenarbeit mit dem Museo Universitario Arte Contemporáneo (MUAC) in Mexiko-Stadt eine Ausstellung organisieren, in der auch diese Werke zu sehen sind. Hendrik Driessen begann mit der Zusammenstellung von Gruppen, oder Ensembles, bestimmter Künstler*innen, die das „Gesicht“ der Sammlung wurden. Dabei ließ er sich von der Vision von Edy de Wilde leiten, dem legendären Direktor des Stedelijk Museums. Diese Herangehensweise ist auch für mich vorbildhaft, denn sie gibt der Sammlung eine individuelle Note. Es hat mir schon immer viel Freude bereitet, Ensembles zu bilden, die mehr sind als die Summe ihrer Teile, also vielmehr Gruppen, in denen sich die einzelnen Stücke gegenseitig stärken. Da ich mit einer anderen Generation von Künstler* innen aufgewachsen bin, gehört natürlich auch dazu, dass ich immer wieder eigene Akzente setze. Letztlich bin ich ein Vertreter der Kunstwelt der 1990er-Jahre, mit der die Tendenz zur „post-medialen“ Kunst zunahm und Künstler*innen ihre Arbeiten nicht mehr als Skulptur oder Malerei im Atelier umsetzten. Stattdessen arbeiteten sie oft vor Ort und begannen nach Belieben alle Arten von Medien zu kombinieren, d. h. so zu arbeiten, wie es der von ihnen gesuchte spezifische künstlerische Ausdruck erforderte. Künstler*innen begannen, von einer Residency zur nächsten zu ziehen, und dann rückten das Internet, billige Flugtickets und Uber die ganze Welt in greifbare Nähe. Kunst und Kunstwelt wurden „super-hybrid“, wie Jörg Heiser es einmal formuliert hat. Diese Grundvoraussetzungen spiegeln sich selbstverständlich im Programm des De Pont wider. Wir schauen uns immer auch explizit in anderen Regionen der Welt um. Ich bin beispielsweise vielfach nach Lateinamerika gereist, was den Erwerb von Werken von Beatriz González, Barbára Wagner & Benjamin De Burca und Rivane Neuenschwander & Cao Guimarãez zum Resultat hatte. Bei der Gestaltung des Programms arbeite ich eng mit Maria Schnyder zusammen, die Kuratorin und stellvertretende Direktorin des De Pont ist. Sie ist gebürtige Schweizerin und jünger als ich. Wir sind gute Sparringspartner: Jeder von uns bringt seine Expertise bezüglich der eigenen Generation in den laufenden Dialog ein, auch hinsichtlich der Sammlung. Seit 2019 haben wir auf diese Weise überzeugende Ensembles von Künstler*innen wie Laure Prouvost, Ragnar Kjartansson, Raphaela Vogel, Kasper Bosmans und Kara Walker zusammengestellt.

The museum’s collection was developed by Hendrik Driessen, the founding director of De Pont who ran the museum for nearly thirty years. You have a lot of museum experience and a strong reputation for scouting young talent.To what extent do your policies differ from those of your predecessor and how much does the exhibition programme influence the collection itself?

At De Pont, an inextricable connection exists between the exhibitions and the collection. Sometimes we purchase artworks from the exhibitions. But we also collect with an eye to future projects, meaning we put together a group of works by a specific artist before making an exhibition. One example of this is Beatriz González, the grande dame of Colombian art, from whom we acquired a fantastic group of paintings and works on paper during the COVID period. These works explore the themes of migration and disappearance in Columbian society, on which violence has left its mark. I had seen those works years before in her home and studio in Bogotà. Next year, we are collaborating with MUAC in Mexico City to organise an exhibition that will include these works as well. Hendrik Driessen started out by assembling groups—ensembles— of specific artists who became the ‘face’ of the collection. In doing so, he was guided by the vision of Edy de Wilde, the legendary director of the Stedelijk Museum. That strategy serves as an example for me, too, because it’s a way to give the collection a distinct individual flavour. I have always taken great pleasure in shaping ensembles that are more than the sum of their parts—groups in which the various pieces reinforce one another. This naturally involves placing my own emphases here and there because I grew up with a different generation of artists. Ultimately, I am an exponent of the art world of the 90s, which had a growing tendency toward ‘post-medium’ art in which artists no longer pursued their ends through sculpture or painting practised in an atelier. Instead, they often worked on location and began combining all kinds of media as they saw fit—that is, as necessitated by the specific artistic expression they were after. Artists began to go from one residency to the next, and then the internet, cheap airfare and Uber put the whole world at our fingertips. Art and the art world became ‘superhybrid’, as Jörg Heiser once put it. Those conditions are most certainly reflected in the programme at De Pont. We also look explicitly at other regions of the globe. I’ve made numerous trips to Latin America, for example, resulting in the acquisition of works by Beatriz González, Barbára Wagner & Benjamin De Burca and Rivane Neuenschwander & Cao Guimarãez. To design the pro- gramme, I work closely with Maria Schnyder, curator and deputy director at De Pont. She is Swiss by birth and younger than I am. We make good sparring partners: we each bring our own generational expertise to the ongoing dialogue, including when it comes to the collection. Since 2019, this has helped us put together strong ensembles by artists such as Laure Prouvost, Ragnar Kjartansson, Raphaela Vogel, Kasper Bosmans, and Kara Walker.

Ragnar Kjartansson, Woman in E, 2016, performance, installation view De Pont museum, Tilburg, 2022–2023

Installation view Stan Douglas – 2011 ≠ 1848, De Pont museum, Tilburg 2023, ISDN (detail)

Bitte erzählen Sie uns etwas über Ihre Zukunftspläne und Ihr Ausstellungsprogramm.

Der Herbst 2023 steht bei uns ganz im Zeichen von Thomas Schütte und Stan Douglas, zwei zentralen Künstlern unserer Sammlung, von denen wir neue Werke zeigen werden. Thomas Schütte gehört neben Sigmar Polke zu meinen persönlichen Lieblingen. Ich bin seiner Arbeit zum ersten Mal während meines Kunstgeschichtsstudiums in Amsterdam begegnet, als ich mit Freund*innen Ausstellungen im Rheinland besucht habe, wie zum Beispiel Von Hier Aus und natürlich die Skulptur Projekte in Münster. Wir sind vielfach zu Galerieund Museumseröffnungen nach Köln und Düsseldorf gereist: Maenz, Fischer, Sprüth, Capitain und später Buchholz, BQ, Nagel, und viele andere. Und Schüttes Arbeit hat mich seither nicht mehr losgelassen. Das De Pont hat eines der besten Ensembles seiner Werke in Europa. Im Jahr 2019, als ich gerade im De Pont angefangen hatte, war Schütte einer der ersten Künstler, die ich besucht habe. Da seine Arbeiten zu diesem Zeitpunkt schon zweimal bei uns im Museum ausgestellt worden waren, fragte er mich, was ich eigentlich in seinem Haus in Düsseldorf wolle. Ich sagte ihm, dass ich das Gespräch mit ihm unbedingt fortsetzen wolle, dass unser Dialog mit seinem Werk noch nicht zu Ende sei. Nach einem anschließenden Besuch in seiner Skulpturenhalle in Neuss bat er uns um einen Vorschlag. Wir wollten seine Architekturmodelle auszustellen – ein Aspekt, der in seinen bisherigen Ausstellungen im De Pont nicht wirklich im Vordergrund gestanden hatte – und Schütte ergänzte das um die Idee, bis in die frühe Phase seines Werkes zurückzugehen und die drei Modelle für Westkunst aus dem Jahr 1981 erstmals in Originalgröße umzusetzen. Diese maßstabsgetreuen Modelle (Schiff, Kiste und Bühne) sind Ausgangspunkt für die Ausstellung, die diesen Herbst im De Pont stattfinden wird. Wir werden sie im Kontext von über dreißig weiteren Modellen in verschiedenen Maßstäben zeigen, die in unterschiedlichen Phasen seines Gesamtwerks entstanden sind. Er hat nie aufgehört Modelle zu bauen: Von den Ein-Mann-Häusern und dem Ferienhaus für Terroristen bis hin zu Mein Grab und den Modellen für die Skulpturenhalle. Als Schütte (damals ein sehr junger Künstler) die Modelle für die Westkunst-Ausstellung von Kasper König machte, konnte er sie aus Budgetgründen nicht im Maßstab 1:1 ausführen. Notgedrungen stellte Schütte sie gruppiert auf einem großen Tisch in der Sektion Heute als Modelle im Maßstab 1:5 aus. Obwohl die Arbeiten nicht wie eigentlich vorgesehen ausgeführt wurden, erwies sich der Westkunst- Auftritt als wichtiger Schritt in Schüttes beginnender künstlerischen Laufbahn; und als ein Schritt weg von seinen konzeptuellen Vorbildern und der „wilden Malerei“ der Neo-Expressionisten. Das Modell eröffnete ihm eigenständige Wege voll intuitiver und experimenteller Möglichkeiten einzuschlagen: Es war eine ergebnisoffene Arbeitsweise, die es ihm erlaubte mit Raum, Farbe, Text und Mustern zu spielen, und die er in jede Richtung weiterführen konnte. Das Modell war „ein Vorwand für eine Skulptur“, wie er es selbst einmal formuliert hat, und steht als Objekt für sich. Wir freuen uns sehr darüber, zum ersten Mal in den Niederlanden einen Überblick über diesen wichtigen Aspekt seines Oeuvres geben zu können. Von Stan Douglas, der wie Schütte umfänglich in der Sammlung vertreten ist, präsentieren wir das Projekt 2011 ≠ 1848 Fünf großformatige Fotografien und eine Videoinstallation, die sich mit gesellschaftlichem Widerstand und, wie der Künstler selbst sagt, mit „Weggabelungen, an denen die Geschichte eine andere Wendung hätte nehmen können“ beschäftigen. Das Projekt sorgte letztes Jahr auf der Biennale in Venedig für einiges Aufsehen. Im Februar 2024 werden wir eine Ausstellung der französischen Künstlerin Laure Prouvost zeigen. Sie versteht es perfekt, gesellschaftliche Themen wie Ökologie und Feminismus mit einer surrealen und fragmentierten Welt zu verknüpfen, in der sich die Betrachter*innen unweigerlich verlieren. Über Jahre hinweg haben wir eine Sammlung von Prouvosts Videoinstallationen, Gemälden und Skulpturen geformt. Diese Werke zeigen ihre Vorliebe für Sprachspiele und zeugen vom weiten Horizont der Künstlerin in der Gestaltung ihres phantasmagorischen Universums. Neben der bereits erwähnten Ausstellung von Beatriz González werden wir in der zweiten Hälfte des Jahres 2024 neue Installationen des jungen indischen Performance- und Installationskünstlers Amol K. Patil zeigen. Im Mittelpunkt seiner Installation bei uns steht die Geschichte der Textilindustrie in Mumbai, der Stadt, in der er aufgewachsen ist und die er in den Dialog mit der Mühlenstadt Tilburg setzen wird. Kürzlich haben wir eine sehr bewegende Videoinstallation des japanischen Künstlers Meiro Koizumi mit dem Titel The Angels of Testimony (2019) erworben. Dieses Werk war eine der herausragenden Arbeiten auf der Sharjah Biennale 14 im Jahr 2019, die kurz vor COVID stattfand und wurde erneut 2021 auf der Artis Mundi in Cardiff gezeigt. Im Jahr 2025 werden wir Koizumi eine Ausstellung widmen.

Please tell us something about your future plans and exhibition programme.

For us, autumn 2023 is all about two core artists from the collection, Thomas Schütte and Stan Douglas, from whom we will be presenting new works. Along with Sigmar Polke, Thomas Schütte is one of my personal all-time favourites. I first learned about his work while studying art history in Amsterdam, when my friends and I would go to exhibitions in the Rhineland like Von Hier Aus and of course Skulptur Projekte in Munster. We made so many trips to see gallery and museum openings in Cologne and Düsseldorf: Maenz, Fischer, Sprüth, Capitain and later Buchholz, BQ, Nagel and many others. And Schütte’s work has continued to intrigue me ever since. De Pont has one of the best ensembles of his work in Europe. Back in 2019, when I had just started at De Pont, Schütte was one of the first artists I went to see. His work had already been shown in the museum twice at that point, so he asked what I was really doing at his home in Düsseldorf. I told him that I was very eager to continue the conversation with him, that our dialogue with his work wasn’t finished. After a subsequent visit to his Skulpturenhalle in Neuss, he asked us for a proposal, and when we suggested organising an exhibition of his architectural models—an aspect that had not really been front and centre in his previous presentations at De Pont—it was Schütte himself who put forth the idea of going back to the formative period of his work and realising the three Westkunstmodelle from 1981 at fullscale for the very first time. Those full-scale Westkunstmodelle (Schiff, Kiste and Bühne) were the starting point for the exhibition that will be held in De Pont this autumn. We will display them in the context of over thirty models at various scales, made at different stages in his career, because he never stopped making models. From the One Man Houses and Ferienhaus für Terroristen to Mein Grab and models for the Skulpturenhalle. When Schütte (then a very young artist) created the Westkunstmodelle for Kasper König’s exhibition, budget constraints prevented him from executing the works at a 1:1 scale. Out of necessity, Schütte displayed them in the Heute (Today) section as 1:5 models, grouped on a large table. While the works were never executed as intended, the Westkunst commission proved to be an important step in Schütte’s nascent artistic career— and a step away from his conceptual forefathers and the ‘ savage malerei’ of the neo-expressionists. The model offered him an individual path filled with intuitive and experimental possibilities: it was an open-ended way of working that enabled him to toy with space, colour, text and pattern, and which he could take in any direction. The model was ‘an excuse for a sculpture’, as he himself put it, and should be considered an object in its own right. We are excited to present an overview of this important aspect of his oeuvre for the first time in the Netherlands. From Stan Douglas—who, like Schütte, is well represented in the collection— we will present the project 2011 ≠1848: five large photographs and a video installation which focus on social protest and (as the artist himself says), ‘crossroads where history could have taken another turn’. The project made quite a splash during the Venice Biennale last year. In February 2024, we will present an exhibition featuring the French artist Laure Prouvost. She has a flawless ability to link societal themes such as ecology and feminism to a surreal and fragmented world in which the viewer cannot help but lose themselves. Over the years, we have amassed a collection of Prouvost’s video installations, paintings and sculptures. These works both demonstrate her love of linguistic games and offer ample scope for the artist to shape her universe of phantasmagoria. Besides the Beatriz González exhibition I already mentioned, in the second half of 2024, we will display new installations by the young Indian performance and installation artist Amol K. Patil. His installation here will centre on the history of the textile industry in Mumbai, the city where he grew up, which he will bring into dialogue with the mill town of Tilburg. We recently acquired a deeply affecting video installation by Japanese artist Meiro Koizumi, The Angels of Testimony (2019). This work was one of the stand-out works at the Sharjah Biennale 14 in 2019—just before COVID—and then again in 2021, at Artis Mundi in Cardiff. In 2025, we will dedicate an exhibition to Koizumi.

Installation views Thomas Schütte – Westkunstmodelle 1:1, De Pont museum, Tilburg, 2023

Laure Prouvost, Drinking One Another Fountain, 2022, collection De Pont museum, Tilburg

Seit 2015 haben Sie diesen wunderbaren Instagram-Account (@acuratorscamera), der viel mehr ist als ein Archiv künstlerischer Begegnungen und historischer Fotos. Wie ist es dazu gekommen?

Das ist aus meiner praktischen Erfahrung als Ausstellungsmacher entstanden und basiert auf meiner Überzeugung, dass die Momente, die sich hinter den Kulissen abspielen, also der Austausch von Worten und Blicken, die Freude und die kleinen Reibereien zwischen Künstler*innen und Museumsmitarbeiter*innen, es wert sind, festgehalten zu werden, und dass sie eines Tages eine eigene geschichtliche Bedeutung haben können. Seit Anfang der 1990er-Jahre habe ich meine Kamera bei Atelierbesuchen, bei Reisen zu Werkstätten und Biennalen und bei Ausstellungsaufbauten im Stedelijk Museum, im De Pont und anderswo immer dabei. Als Kurator/Fotograf hat man keinen leichten Stand, denn nicht jeder oder jede fühlt sich wohl, wenn eine Kamera anwesend ist. Man muss also ein bisschen frech sein und wagen, auch mal ganz nah heranzugehen. In der Regel herrscht jedoch eine vertrauensvolle Atmosphäre, weil es sich bei mir um eine Person handelt, mit der man gerade gemeinsam an einer Ausstellung oder einem Projekt arbeitet. Durch die Zusammenarbeit bekommt man schon im Vorfeld ein Gefühl dafür, was die kritischen Momente während eines Aufbaus sein könnten. Dann ist es wichtig, dass meine Rolle als Kurator Vorrang vor der Rolle als Fotograf hat, weil das Fotografieren in solchen Situationen den Fokus vom Wesentlichen ablenkt. Man kann nicht gleichzeitig künstlerische Entscheidungen treffen und sich überlegen, welchen Ausschnitt man für die Aufnahme wählt. Das Tolle an meinem Archiv von Schwarz-Weiß-Aufnahmen ist, dass es nur sehr wenige formale Porträts enthält. Zu Beginn einer Preview für die Presse, während einer privaten Preview, oder wenn sich die Türen des Speisesaals öffnen, ist meine Kamera bereits wieder verstaut. Ich ziehe „mein Ding“ vor der Eröffnung durch. Auf diese Weise konnte ich Mario Merz gedankenversunken in einem Amsterdamer Café fotografieren, Thomas Struth schlafend auf einer Transportkiste in einer Museumsgalerie, Jeff Koons, wie er Natriumchlorid und destilliertes Wasser mischt, während er seinen One Ball Total Equilibrium Tank füllt und Isa Genzken, die wie ein Rockstar gekleidet den Aufbau ihrer Ausstellung im Martin Gropius Bau inspiziert. In den besten festgehaltenen Momenten wird dieses Archiv hoffentlich sowohl etwas von der Atmosphäre, die zu einer bestimmten Zeit gehörte, als jene Art von Kunst gemacht wurde, als auch die Freude an der Zusammenarbeit zwischen Künstler*innen und Kurator vermitteln. Ich mag Bücher, die das fassbar machen wirklich sehr – wie die von Ugo Mulas, Benjamin Katz, Elio Montanari und natürlich meinem ehemaligen Kollegen am Stedelijk, Ad Petersen, der in den 1970er- Jahren in seiner Zeit als Kurator ebenfalls Künstler*innen fotografierte. Ich hoffe, dass auch ich eines Tages so ein Buch machen werde.

Since 2015, you have this wonderful Instagram account (@acuratorscamera) that is much more than an archive of artistic encounters and historical photos. How did it come about?

It is entirely the result of my practical experience as an exhibition- maker and is based on my belief that the exchange of words and looks, the enjoyment and the small frictions between artists and museum staff—those moments that play out behind the scenes—are worth recording and may someday have historical significance of their own. Since the early 1990s, I’ve always kept my camera close at hand during studio visits, when travelling to ateliers and biennales and when installing exhibitions in the Stedelijk Museum, De Pont and elsewhere. As a curator-slashphotographer, you have a bit of an uphill battle because not everyone immediately feels at ease with a camera nearby. So you have to be a bit cheeky and bold enough to get really close at times. Usually, though, the atmosphere is one of good mutual trust because it’s somebody with whom you’re currently collaborating on an exhibition or project. That collaboration lets you get a sense beforehand of what the critical moments during an installation might be. At those times, it’s important that your role as a curator take precedence over your role as photographer, because taking pictures in those situations will shift focus away from where it belongs. There’s no way to take artistic decisions and figure out how to frame your shot at the same time. The great thing about my black & white archive is that it includes very few formal portraits. At the start of the press preview, during the private viewing and when the doors of the dining room open, my camera is already tucked away in the cupboard. I do my entire thing before the opening. That’s how I’ve been able to take pictures of Mario Merz deep in thought in an Amsterdam café; Thomas Struth asleep on a transport crate in a museum gallery; Jeff Koons mixing sodium chloride and distilled water while filling his One Ball Total Equilibrium Tank; and Isa Genzken kitted out like a rock star while inspecting the installation of her show in the Martin Gropius Bau. In its best moments, this archive will hopefully convey something of the atmosphere belonging to the era when a certain kind of art was being made, as well as illustrate the joy to be found in the collaboration between artist and curator. I really like books that offer that as well, like those by Ugo Mulas, Benjamin Katz, Elio Montanari and, of course, my former colleague at the Stedelijk, Ad Petersen, who used to photograph artists when he was a curator in the 1970s. Hopefully, I’ll create a book like that, too, one day.

Artist Mario Merz, photo: Martijn van Nieuwenhuyzen for his instagram account