EDITORIAL # 55
Marta Herford
Kathleen Rahn
Seit Februar 2022 ist Kathleen Rahn die neue künstlerische Direktorin des Museums Marta Herford. Sie leitete sieben Jahre den Kunstverein Hannover, weitere berufliche Stationen waren die Leitung des Kunstvereins Nürnberg – Albrecht Dürer Gesellschaft sowie als Kuratorin des Kunstvereins für die Rheinlande und Westfalen in Düsseldorf (2003–2007).
Kathleen Rahn has been the artistic director of the Marta Herford Museum since February 2022. Before this new position, she headed the Kunstverein Hannover for seven years. Among her other professional stations were as director of the Kunstverein Nürnberg – Albrecht Dürer Gesellschaft and curator of the Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen in Düsseldorf from 2003 until 2007.
Das Marta Herford ist ein Museum für zeitgenössische Kunst das auch Verbindungen zu Architektur und Design herstellt, wobei das von Frank O. Gehry gebaute Museum selbst an eine gigantische Plastik erinnert. Welche Chancen und welche Möglichkeiten bietet diese Überschneidung, die sich auch in der Sammlung manifestiert?
In der Tat ist die Architektur beeindruckend und lädt, wie ich finde, zum Lustwandeln ein. Das Gebäude bietet sehr viele Möglichkeiten des Aufenthalts und der Auseinandersetzung. Eine ehemalige Textilfabrik bildet die Basis des Gebäudes und die Räume hier ermöglichen eine sehr direkte und intime Begegnung. Darüber hinaus sind ein Café, sowie Räume für Vorträge, Besprechungen Teil des Konzeptes dieses im Sinne von Alexander Dorners „Museum als Kraftwerk“ entworfenen, auch touristisch attraktiven Komplexes. Die Sammlung ist mit der Ausstellungspraxis gewachsen, wobei sie mit rund 500 Werken noch überschaubar ist.
Die Sammlung besteht alleinig aus Werken der bildenden Kunst. Da sie jedoch die vergangenen Ausstellungen widerspiegelt, finden sich darin auch möbelartige Objekte, an der Grenze zwischen Kunst und Design, ein Thema, das immer wieder im Fokus des Programms stand. Das Schöne ist, dass sich die Möglichkeit Kunst, Design und Architektur zusammen zu denken in jedem Jahrzehnt wieder anders darstellt in diesem Gebäude. Sein Name entstand übrigens aus einem Akronym: „M“ für Möbel (da dies einst als Haus für die in Herford ansässige Möbelindustrie dienen sollte), „ART“ für die Kunst und das angehängte „a“ für Ambiente. Ich habe immer Wert daraufgelegt, für den Ort, an dem ich arbeite (und an dem ich selbstverständlich auch lebe) Projekte zu entwickeln, die hier Sinn machen – nun in der seit dem Mittelalter geprägten „(Hanse-)Stadt der starken Frauen“.
The Marta Herford is a museum for contemporary art that also makes connections with architecture and design, not least via the fact that the museum itself, designed by Frank O. Gehry, is reminiscent of a gigantic sculpture. What opportunities and what possibilities do these kind of interactions offer, which are also manifested in the collection?
It’s true that the architecture is impressive and, I think, invites to visitors to take their time. The building offers a great many opportunities to dwell and become engaged. A former textile factory forms the basis of the building and its spaces allow for very direct and intimate encounters. In addition, a café, as well as rooms for lectures and meetings, are part of the concept, also attractive for tourists, of this complex, designed in the spirit of Alexander Dorner’s “Museum as Power Plant.” The collection has grown with the exhibition practice, although, with about 500 works, it is still manageable. The collection consists solely of works of fine art. However, as it is reflective of past exhibitions, furniture-like objects that exist on the border between art and design, an aspect that has always been a focus of the program, are also included. The beauty here is that the possibility for considering art, design, and architecture together is presented differently over each decade in this building. Its name, by the way, came from an acronym: “M” for furniture [German: Möbel], since it was once intended to serve as a home for the Herfordbased furniture industry, “ART,” for the art, and the appended “a” for ambience. I have always made a point of developing projects for the places where I work (and, of course, where I live) that make sense in those places—now in Herford, known since the Middle Ages as the “(Hanseatic) City of Strong Women.”
Asta Gröting, Die Schwimmerin, 1997
Eine Bühne für Lina Bo Bardi, Ausstellungsansicht / exhibition view, 2022
Regionale Identität – internationale Vernetzung, welche Rolle spielt für das Museum die regionale Identität?
Das Marta ist ein Aushängeschild und Magnet der Stadt. Die Menschen vor Ort in großer Breite, nicht zuletzt durch ein spannendes Vermittlungs- und Veranstaltungsprogramm einzuladen, ist uns ein wichtiges Anliegen. Wenn Du vom Gebäude als Plastik sprichst, würde ich sagen, dass wir noch mehr versuchen wollen, eine soziale Plastik zu sein. Wir versuchen dies aktuell auf allen Ebenen zu stärken, wobei die Ressourcen bereits hervorragend sind – mit einem engagierten Team, den räumlichen Möglichkeiten und viel Potential Neues zu entwickeln. Die regionale Verankerung unserer Arbeit äußert sich auch in den seit Beginn für das Haus engagierten Sponsoren aus der Wirtschaft. Kooperationen mit verschiedenen Institutionen wie Hochschulen, Betrieben vor Ort oder der RecyclingBörse! – mit der wir seit 17 Jahren einen Wettbewerb für nachhaltiges Design ausloben – gehören glücklicher Weise ebenfalls bereits zur gelebten Praxis.
Regional identity—international network: what role does regional identity play for the museum?
The Marta is a flagship and magnet within the city. Making it inviting to a broad cross-section of local people—not least of all through an exciting education and event program—is an important concern for us. You mentioned the building being like a sculpture, and I would say that we really want to try be more like a social sculpture. We are currently trying to further this on all levels, and the available resources are already excellent: with a dedicated team, the possibilities of the space, and so much potential to develop something new. The regional anchoring of our work can also be seen in the sponsors from the business world who have been committed to the museum since its beginning. Cooperations with various institutions such as universities, local businesses, or the RecyclingBörse— with which we have been organizing a competition for sustainable design for 17 years—are also fortunately already part of our day-to-day practice.
Das Marta Herford erhält eine Förderung der Bundesregierung zur Sanierung des 17 Jahre alten Gebäudes sowie der Außenanlagen, damit kann in Zukunft auch nachhaltiger gehaushaltet werden. Welche Herausforderungen, bietet der sich aktuell sichtbarer denn je manifestierende Klimawandel für eine international agierende Institution?
Das Museum ist, obwohl es jung ist, eher als Gestaltungsikone und weniger als ein Klima-effizientes Gebäude entstanden. Ich hatte jüngst die Gelegenheit mit Frank O. Gehry zu sprechen, der bis heute sehr daran interessiert ist, wie wir aktuell das Gebäude empfinden. Die von Dir genannte Förderung ist ein riesiges Geschenk, das ich den vorherigen Geschäftsführern zu verdanken habe, die diesen komplexen Antrag erfolgreich auf den Weg gebracht haben.
Hierbei geht es auch um Bestandssicherungsaspekte und Veränderungen, die das Haus im Rahmen der Möglichkeiten einer solch gestalteten Utopie nachhaltiger aufstellen. Die radikalen Fragen stehen uns jedoch noch bevor: wie können wir unseren Betrieb anders organisieren? Welche aktuell üblichen restauratorischen Auflagen machen unter Berücksichtigung von Nachhaltigkeit wirklich Sinn, wie können wir unsere Praxis verantwortungsbewusst ändern? Immerhin haben wir einen großen Standortvorteil und damit schon eine genuine Daseinsberechtigung, da wir internationale Debatten in die Kleinstadt tragen, wo diese ebenso diskutiert werden soll wie in den Metropolen dieser Welt.
Marta Herford is receiving funding from the German government for the renovation of the 17-year-old building and the outdoor facilities, which will enable it to operate more sustainably in the future. What challenges does climate change, which is currently more evident than ever, pose for an internationally active institution?
The museum, though young, was created more as a design landmark than as a climate-friendly building. I recently had the opportunity to speak with Frank O. Gehry, who to this day is very interested in how we currently feel about the building. The grant you’ve mentioned is a tremendous gift that I owe to the previous managing directors, who successfully got this complex proposal off the ground. This is also about issues of preservation and changes that will make the institution more sustainable within the possibilities of its utopian design. However, the fundamental questions are still in front of us: How can we organize our operations differently? What current norms in restoration approaches really make sense in terms of sustainability? How can we responsibly change our practices? Ultimately, we have a real locational advantage and, thus, already a genuine raison d’être, in that we can bring international debates to a small city where they should be discussed just as much as in the great metropolises of the world.
Haneul Kim, Stack and Stack (In Pandemic)
François-Marie Banier, Paris (Oktober 2003)
Woran arbeitest Du aktuell?
Ich lerne jeden Tag dazu und arbeite aktuell an der dritten großen Sammlungsausstellung des Hauses, die wir ab September in den so genannten „Gehry-Galerien“ präsentieren. Wir erkunden die Sammlung in thematisch assoziativen Begriffen wie „Körper“, „Raum“ und „Gesellschaft“ und wollen gleichzeitig aufzeigen, wo Ergänzungen sinnvoll sind: ein Blick in den Bestand zeigt auf, dass oft nur einzelne Arbeiten von Künstler*innen erworben werden konnten, obwohl man sicher lieber einen repräsentativen, für die Zukunft nachhallenden Komplex erworben hätte, der umfassend eine künstlerische Haltung widerspiegelt.
Wir legen durch ergänzende Leihgaben nun den Fokus auf Werke von Künstlerinnen (die leider klar in der Unterzahl sind) und greifen exemplarisch vier Positionen heraus – in der Stadt der „starken Frauen“, um hier Komplettierungen vorzuschlagen. Ich begreife unsere Ausstellung als Bestandsaufnahme, Entdeckungsreise und zugleich erste Vision, die wir in den kommenden Jahren hoffentlich immer wieder neu auf den Prüfstein stellen und fruchtbar ausbauen können.
What are you currently working on?
I’m learning every day, and I’m currently working on the third major exhibition of the museum’s collection, which we’ll be presenting in the so-called “Gehry Galleries” beginning in September. We are exploring the collection in thematically associative terms such as “body,” “space,” and “society,” and at the same time want to indicate where additions might make sense: a look at our holdings reveals that often only individual works by artists could be acquired, although it certainly would have been preferable to acquire a representative complex that resonates for the future and comprehensively reflects an artistic position. Through supplementary loans, we are now focusing on works by female artists (who are, unfortunately, clearly in the minority) and singling out four exemplary artistic positions—in this city of “strong women”—in order to suggest completions in this area. I see our exhibition as an inventory, a voyage of discovery, and, at the same time, a preliminary vision, one which we hope to put repeatedly to the test and fruitfully expand upon in the years to come.
Lena Henke, The Baby will always be me, 2020 (Marta-Preis)
Singarum J. Moodley, [Three men dancing in a line], 1975
Photo credits
© Marta Herford; 8: © Marta Herford, Foto: TheOtherCara; © VG Bild-Kunst, Bonn 2022; © Marta Herford, Foto: Hans Schröder; © VG Bild-Kunst, Bonn 2022; Courtesy die Künstlerin und Pedro Cera, Lissabon, Foto: Bruno Lopez; Courtesy The Walther Collection